“Wie kann das sein – Fußball ohne Liebe?” Die WM 2022 in Katar

Neun(!) Jahre ist es her, dass wir unsere Kritik an der seelenlosen Veranstaltung geäußert haben, die sich zur Zeit bei der WM 2022 in Katar abspielt. Mancher kann trotz allem seine Highlights daraus ziehen, was natürlich vollkommen in Ordnung ist. Bei mir überwiegen Desinteresse und Frust. Frust, weil eine Fußball-WM etwas so Schönes sein könnte, wenn es die korrupten Fußballverbände in Gestalt der nun bis zum Hals vollgestopften Funktionäre nicht komplett verbockt hätten.

Oliver Kalkofe hat dieses Gefühl am besten auf den Punkt gebracht:

Ansonsten wurde mehr als genug über die WM 2022 in Katar geschrieben und geschimpft. Entweder man arrangiert sich damit, ignoriert den ganzen Bumms oder irgendwas dazwischen.

Für mich hallten vor allem die Worte von Walter Casagrande im SZ-Interview nach, in den 80ern wesentlicher Nebenpart von Sócrates bei Brasilien und heute meinungsstarke Stimme im Fußball:

Katar ist die einzige WM der Geschichte, die nur in den Stadien existiert. Und die WM-Fans sind bereits anders als Klub-Fans. Hierher kommen nur Leute mit Geld. Ich bin sicher, sie gehen zur WM, um sich zu vergnügen. Um gemeinsam zu trinken, Leute kennenzulernen, eine flüchtige Liebschaft zu haben. Aber selbst das ist hier verboten! Man darf sich hier keiner Leidenschaft hingeben! Weil die Liebe in Katar verboten ist.

Und als Schlusssatz:

Wie kann das sein – Fußball ohne Liebe?

Groundhopping in London: Der Reiseführer für Fans

Reiseführer über London gibt es wie Sand am Meer. Für Fußballfans fehlte aber bislang ein wichtiges Werk: Ein umfassender Guide mit allen relevanten und hintergründigen Informationen zu den Londoner Fußballclubs und deren Stadien. Der frisch gegründete Verlag „Pretty Good Books“ schliesst nun diese Lücke. Nomen est Omen.
Probe aufs Exempel: Mal angekommen, Du fährst am kommenden Wochenende mit ein paar Freunden nach London. Könnte ja sein. Ein paar Fußballspiele, ein paar Pubs – zwei gemütliche Tage in einer der geilsten Städte dieser Welt. Ein Blick auf den Spielplan lässt jedes Groundhopper-Herz höher schlagen. Es wird einem ein Buffet aufgetischt, wie es nur ein Fünfsternehotel beim Sonntagsbrunch anbieten kann. Drei Londoner Premier League Spiele am Samstag, ein weiteres am Sonntag, dazu Spiele aus der zweiten Liga (Championship), et cetera pp.
Du entscheidest dich für folgendes Fußballmenü: Samstag 15:00 Uhr: Brentford vs. Rotherham (Championship); Samstag 17:30 Uhr Watford vs. Westham, sowie dann am Sonntag, 13:30 Uhr Spurs vs. Stoke City. Du bist also im Norden Londons unterwegs und suchst nun nach guten Informationen rund um die Grounds und die Clubs. „Der London Fußball Guide“ von Christoph Beutenmüller ist dein idealer Begleiter für diese Tour. Ein paar Amuse-Bouche aus dem Buch:
Zum Brentford FC
  1. Der Club hat den Spitznamen „The Bees“ und gilt als der erfolgloseste in ganz London – noch nie wurde ein Titel gewonnen, noch nie war man in einem grossen Finale.
  2. Der heutige Eigentümer Matthew Benahm ist ein ehemaliger Finanztrader und besitzt neben der Sportwetten-Firma Smart Odd auch den dänischen Verein FC Midtjylland.
  3. Das Stadion „Griffin Park“ ist bei Fußball-Romantiker besonders beliebt. Umrandet von typisch englischen Reihenhäuschen und in jeder Ecke des Stadions ein altehrwürdiges Pub. Als Ausnahme im englischen Profi-Fußball kann man hier die Spiele im Stehen verfolgen. Der “Griffin Park” hat noch einen Block mit Stehrampen.
  4. Angeblich soll Rod Stewart in seinen jungen Jahren mal beim Verein zum Probetraining eingeladen worden sein. Für einen Profivertrag hat es jedoch nicht gereicht.
 Zum Watford FC:
  1. „The Hornets“ wurden über lange Jahre von Popstar Sir Elton John unterstützt, heute gehört der Club dem italienischen Unternehmer Gianpaolo Pozzo, ein umtriebiger Italiener, der auch in seinem Heimatland zwei Vereine besitzt.
  2. “Vicarage Road Stadium“ ist ein schmuckes Kistchen mit etwas über 20’000 Plätzen. Die Frauentoiletten wurden zwar erst 1951 im Stadion eingeführt, heute ist man etwas fortschrittlicher und hat auch zwei Baby-Wickelräume eingerichtet.
  3. Watford ist im Norden Londons, Anreise bequem mit der London Overground bis “Watford High Street“.
  4. Hopp Schwiiz: Mit Valon Bohrami und Almen Abdi sind gleich zwei helvetische Nationalspieler bei den „Hornets“ unter Vertrag.

Zu Tottenham Hotspur:

  1. Wer noch kann, sollte unbedingt an die „White Hart Lane“ – denn die Tage des charaktervollen Stadions sind gezählt. Eine 61.000 Zuschauer fassende Arena, die in der Nähe der bisherigen Spielstätte entsteht, soll bis zur Saison 2018/19 bezugsfertig sein und neben einem Hotel, einem Vereinsmuseum und weiteren Sporteinrichtungen sogar Wohnungen beherbergen.
  2. Paul Gascoigne, Gary Lineker, Jürgen Klinsmann, Gareth Bale – es waren einige spannende Typen im weißen Dress der Spurs. Aktueller Superstar ist natürlich Harry Kane, die Tormaschine.
  3. Ende November 1997 wurde der Schweizer Christian Gross Trainer der damals abstiegsbedrohten Spurs. Obwohl er Tottenham mit nur einer Niederlage in den letzten neun Ligaspielen vor dem Abstieg bewahrt hatte, wurde er in der folgenden Saison nach drei Partien entlassen.
  4. Verpflegungstipps rund um “White Hart Lane“: Ein fanfreundliches Pub ist das „Antwerp Arms“ oder auch „The Gilpins Bells“, wo sich Heim- und Auswärtsfans treffen.
Fazit: Der Reiseführer von Christoph Beutenmüller ist vielseitig, informativ und voller spannender Tipps für ein unvergessliches London Fußballwochenende. Also unbedingt kaufen! Am besten gleich im Doppelpack: Denn „Pretty Good Books“ verlegt mit „Match Days“ ein weiteres Buch, das sich dem Londoner Fußball widmet: Der Holländer Paul Baaijens hat seine persönlichen Groundhopping-Erlebnisse niedergeschrieben, er besuchte in der Saison 2013/2014 innerhalb von 35 Tagen 17 Spiele in der Stadt besuchte. Hier das Promo-Video zum weiteren lesenswerten Buch:

 

Über die Schönheit von Toren – eine systematische Annäherung

Das Wort „schön“ kommt uns dutzendfach über die Lippen. Täglich. Ein schöner Anblick. Ein sehr schönes Kunstwerk. Eine wunderschöne Frau. Wow, ein schönes Auto. Oder eben: Ein schönes Tor. Ein Traumtor. A Beauty of a Goal. Doch: Was macht eigentlich ein Tor „schön“? Was bei den Frauen die Formel 90-60-90 ist, lautet bei Toren (B x F x D) – Z.
Der erste Tag dieses Jahres war noch nicht vorbei, da riefen die Fußballkommentatoren bereits: „Das Tor des Jahres 2017 ist bereits gefallen!“ Arsenals Olivier Giroud gelingt im Spiel gegen Crystal Palace den so genannten „Skorpion Kick“ – er trifft den Ball mit der Hacke, in luftiger Höhe und schneller Vorwärtsbewegung. Ein Kunstwerk, ohne Zweifel, es ist ein richtig schönes Tor. Szenenwechsel: Drei Wochen später spielt der SC Freiburg im ersten Ligaspiel des Jahres zu Hause gegen FC Bayern. In der Nachspielzeit fliegt im Strafraum der Ball Lewandowski zu. Der Ball ist etwas zu hoch vielleicht. Darum springt Lewandowski und biegt seinen Körper nach hinten, er verliert dabei nicht das Gleichgewicht, sondern er stoppt den Ball mit der Brust. Der Ball prallt von seiner Brust nach vorne, Lewandowski pickt ihn mit dem rechten Fuß aus der Luft und zieht ihn nach hinten, und dann – der Ball ist immer noch in der Luft – schießt er mit links, lässt den Ball dabei über den Außenrist gleiten und trifft die Ecke des Tors, 1:2.
170102092613-gettyimages-630761102-exlarge-169

Bereits Tor des Jahres am 1.1.17 – SKORPION-KICK VON GIROUD

Bei Frauen misst man das Taille-Hüft-Verhältnis, um eine Schönheit zu küren. Bei Bildern wird der goldene Schnitt beigezogen. Und bei Toren? Es existiert keine Systematik, um die Schönheit von Fußballtoren zu messen. Es gibt keine Formel, die man zur Hand nehmen kann, um herauszufinden, ob das Tor von Lewandowski schöner ist als jenes von Giroud. Man lässt seit Dekaden die Fangemeinde über die schönsten Tore per Voting abstimmen – früher sandte man Postkarten ein, heute klickt man im Internet. Beim “Tor des Monats” gewinnen meistens Fallrück- oder Seitfall- oder sonstige Zieher, manchmal gewinnt auch der Schuss aus 42 Metern, der den Torwart verhöhnt. Aber glasklare Kriterien für ein schönes Tor sucht man vergebens.
SPO-Shaqiri1

Nach unserer Formel das “Tor des Jahres 2016″ – DER FALLRÜCKZIEHER VON XHERDAN SHAQIRI

Am letzten Wochenende wurde der Marcel Risse mit dem „Tor des Jahres 2016“ in der ARD ausgezeichnet. Er hämmerte zwei Freistösse aus praktisch identischer Distanz ins Tor. Und holte seit der Ehrung von Pierre  Littbarski 1985 zum ersten Mal wieder die Trophäe nach Köln. Doch eigentlich hätte sie in die Schweiz gehört. Denn das Tor von Xherdan Shaqiri an der EM war spektakulärer, dynamischer und anspruchsvoller in der Ausführung. Doch wie misst man dies? Im Zeitalter von Big Data und dem gläsernen Spieler, bei dem jede Bewegung gemessen wird, ist es doch erstaunlich, dass es die Schönheit von Toren keinen Index gibt. Selbst die FIFA, die seit 2009 den “Puskás-Preis“ für das schönste Tor vergibt, bleibt schwammig: „Neben der subjektive Ästhetik eines Tores, zählt die Bedeutung des Spieles, in dem das Tor erzielt wurde, der Fakt, dass ein Tor nicht aus Glück oder infolge eines Fehlers des Gegenspielers gefallen ist und zudem kein unsportliches Verhalten des Spielers während des Spiels vorgefallen ist.“ Auch der Griff zum Philosophie-Lehrbuch hilft nicht weiter: Auch Platon war in seinen Beschreibungen nicht sonderlich präzise: “Schönheit hat ein passendes Verhältnis zum Göttlichen und sorgt beim Menschen für Freude und Offenheit.”
Darum ist es nun an der Zeit die Formel für schöne Tore zu entwerfen – hier eine Beta-Version: (B x F x D) – Z
  • B: Die Bewegungen (Dynamik und Ästhetik) eines Spielers
  • F: Die Flugbahn des Balles vor und dann ins Tor
  • D: Distanz zur Torlinie
  • Z: Zufällige Umstände beim Torerfolg
Das Datenteam der Stehplatzhelden hat rund 600 Tore mit der Formel ausgewertet. Untersucht wurden die grossen und mittleren europäischen Ligen in den ersten Wochen des Jahres 2017. Heissester Anwärter auf eine Auszeichnung wäre demnach Souleymane Doukara von Leeds United – mit seiner ersten Ballberührung im Spiel gegen Nottingham Forest in der zweiten englischen Liga. Ein Tor so ganz nach der Art des grossen Tony Yeboah… Überzeugen Sie sich selbst:

Neue Fifa-Regeln: Marco van Bastens nächster Zauber

Ohne Zweifel, Marco van Basten ist ein Zauberer. Fast dreissig Jahre ist es her, da zirkelte der Holländer beim EM-Finale 1988 im alten Olympiastadion München den Ball spektakulär mit einer Direktabnahme in die Maschen. Ein Traumtor. Es kam uns vor wie Magie:

Vergangene Woche hat er seinen zweiten berühmten Zaubertrick durchgeführt: MvB hat zehn neue Fifa-Regeln aus dem Hut gezaubert. SportBild hat artig protokolliert:  Abseits abschaffen, Zeitstrafen statt gelbe Karten, Shoot-out statt Verlängerung, effektive Spielzeit in der Schlussphase, fliegende Wechsel, mehr als drei Wechsel, Ruderbildung verhindern, maximale Anzahl an Fouls, 8 gegen 8 auf kleinem Feld statt 11 gegen 11, weniger Pflichtspiele pro Jahr. Die gesamte Fußball-Welt schüttelt nur den Kopf über diese Ideen. Dabei ist es erst der erste Streich von MvB. Die Stehplatzhelden konnten mit engen Vertrauten von MvB reden und so die weiteren fünf neuen Fifa-Regeln in Erfahrung bringen.
  1. Bei Rückstand von mehr als zwei Toren: Der Schiedsrichter spielt bei der unterlegenen Mannschaft mit.
  2. Dreht die Laola-Welle in den ersten 15 Minuten ununterbrochen im Stadion, erhält die Heimmannschaft einen Elfmeter.
  3. Spiele gegen den Tabellenführer (mit mehr als 5 Punkten Vorsprung): Der Gegner erhält einen Joker, d.h. einen weiteren Feldspieler.
  4. Steht es in der 75. Minute bei einem Fifa-Spiel immer noch 0:0 wird mit drei Bällen gespielt.
  5. Gelingt einer Mannschaft ein MvB-Tor (Direktabnahme von der Strafraum-Grenze), wird das Spiel unmittelbar abgebrochen (Ehrerbietung für MvB).
Haben auch Sie Informationen über neue Fifa-Regeln, dann füllen Sie bitte die Kommentarspalte unten!

FC Basel: “Heilanddonner!”

Sein Ausbruch war wohltuend: Spontan. Euphorisch. Fast südamerikanisch. Pascal Flury ist kein Radioprofi, sondern Grundschullehrer. Am Wochenende sitzt er auf der Pressetribüne und kommentiert live die Spiele des FC Basel für die lokale städtische Internetplattform Barfi.ch. Bekannt wurde der Mann vor gut zehn Tagen, denn seine Jubelschreie in der Nachspielzeit des Heimspiels gegen Lausanne Sports sind legendär – nicht nur in der Region Basel: „Heilanddonner – was füür e Fuessballmatsch, do im Joggeli!“

Es ist seltsam: Der grosse FCB dominiert die Schweizer Liga nach Belieben. Nach vierzehn Runden beträgt der Vorsprung bereits zwölf Punkte. Statistiker haben herausgefunden, dass es sich bei der Schweizer Super League um die weltweit langweiligste Liga handelt – vor Wales, Norwegen, Venezuela und Weissrussland. Vielleicht schwebt gerade deswegen eine Art „November-Depression“ über dem Verein. „Wir Basler müssen das Verlieren wieder mal lernen“, sagt der Sportchef Georg Heitz. Die letzte Niederlage in der nationalen Meisterschaft liegt Monate zurück. Und doch ist die Stimmung getrübt. Trainer Urs Fischer reagiert bisweilen gereizt auf Fragen und stellt Journalisten bloss, wenn Sie es wagen eine kritische Anmerkung zu machen. Zu wenig attraktiv spiele die Mannschaft. Es fehle an Identifikationsfiguren in der Mannschaft. Im europäischen Vergleich hätte man den Anschluss an die grossen Mannschaften nun definitiv verloren. Fakt ist: Das Weiterkommen in der Champions League ist in dieser Saison bereits verspielt. Nächste Woche geht es gegen Ludogorez Rasgrad aus Bulgarien noch um den Platz in der Europa League.
Vielleicht kommt aber ja im Spiel gegen Arsenal London im Dezember nochmals Stimmung auf im St. Jakob Park. Und die November-Depression verzieht sich. Pascal Flury wird sicherlich wieder auf der Pressetribüne sitzen. Und leidenschaftlich einen Erfolg kommentieren. So wie in vergangenen Zeiten, als der FCB die grossen englischen Mannschaften wie Liverpool oder Manchester United geärgert hat. Heilanddonner!

Kroatiens Fussball am Strassenrand

Glück hat, wer Kroatien bereisen darf. Die Küstenlinie ist unbeschreiblich hübsch. Das Meerwasser türkisfarben wie in der Karibik. Und die Sonne wärmt auch noch Mitte Oktober angenehm. Pech nur, wenn die Reise just auf die Länderspielpause fällt. Denn ein Stadionbesuch in diesem Land, in dem die Fans so frenetisch sind, gehört zwingend in die Sammlung von Groundhoppern. Fussball aus Kroatien ist beste Kost. Hajduk Split und Dinamo Zagreb, die beiden grossen Vereine des Landes. Präsent auch die Erinnerungen an die WM 1998: Dort holte das Team mit Bilić, Boban, Stanić und besonders Šuker sensationell Bronze. Zahlreiche aktuelle Nationalspieler gehören zur Crème de la Crème im europäischen Fussball: Modrić, Rakitić, Perišić, Kovačić oder Mandžukić. Fussball entdeckt man in Kroatien aber nicht nur in den grossen Stadien und bei lauten Fangesängen. Fussball ist überall – Beobachtungen am Strassenrand.

c1

TOR #1 – Wer zu hoch zielt, schiesst über die Burgmauer von Trogir.

c2

TOR #2 – Wer zu weit schiesst, holt den Ball im adriatischen Meer.

c3

KARLOVACKO – der Durstlöscher von Hajduk Split, früher und heute.

c4

SCHACHBRETT AM STRASSENRAND – immer und immer wieder Hajduk.

c5

TOPSTARS ZU SCHLEUDERPREISEN – an jedem Markt werden Shirts angeboten.

c6

GEFÄHRLICHE JUNGS – Torcida der grösste, älteste und meist gefürchteste Fanclub von Hajduk.

c7

ZAUBERN IN DER GASSE – Jungs in der Altstadt von Split.

c8

ZOCKEN AN JEDER ECKE – Spielbude am Hafen von Split.

c9

DISKRETE KULLISSE – Wandbemalungen in der Altstadt von Dubrovnik.

c10

BETTWÄSCHE FÜRS AUTO – sportliche Bierwerbung.

c11

FUSSBALL ÜBER DEN DÄCHERN – Jungs bolzen in Dubrovnik.

Der FC Winterthur, einfach zum Verlieben

Lieber FCW. Wir kannten uns bisher nur sporadisch. St. Pauli war mal hier, das war unser erstes Date. Oder ein anderes Mal mit meinem Patenkind, das in der Stadt wohnt. Nun aber ist mein Zuhause nur fünf Minuten Fahrradweg von der Schützenwiese entfernt. Darum trage ich seit Juli die Saisonkarte in meinem Portemonnaie. Und nun, lieber FCW, trage ich dich seit letztem Montag auch im Herzen.
1z8a4699

BLICK VON DER NEUEN OSTTRIBÜNE: Vorne die Bierkurve mit den FCW-Fans, dahinter die kleine Sirupkuve und gegenüber die Haupttribüne mit Estrade.

 
Ein schlechtes Gewissen beschlich mich in den letzten Tagen. Eigentlich habe ich „meine“ Vereine doch schon seit Jahren, ja Jahrzehnten. Ich folge intensiv dem FC Basel und dem HSV aus Hamburg. Dies ist wie Himmel und Hölle: Der eine Verein liegt nach nur sieben Spielrunden mit neun Punkten Vorsprung an der Spitze und wird im nächsten Frühling zum achten Mal in Serie Schweizer Meister. Ganz anders der zweite Verein – nervenaufreibend, enttäuschend, anstrengend. Meine Fussball-interessierten Schüler machen sich immer montags ein Spielchen daraus, mal in einer Lektion einen Witz über die Rothosen fallen zu lassen. Dagegen bist du, lieber FCW, richtig wohltuend: Zufrieden im Mittelfeld der Challange League, so heisst die 2. Liga in der Schweiz, keine Ambitionen nach oben, ein sicherer Abstand nach unten und dennoch stets mit guter Laune. „Erstklassig zweitklassig“ lautet dein Lebensmotto und jeder Besuch auf der Schützenwiese ein besonderes Erlebnis: Die neu erbaute Osttribüne kommt dir gut. Die Typen in der Bierkurve, dem harten Kern, machen ordentlich Lärm. Dahinter der Salon Erika: In diesem Bauwagen hängen Kunstbilder zur Ansicht und Freiwillige verkaufen während der Spiele nicht Bier, sondern Cüpli (Prosecco). Du bist quer in der Landschaft, FCW, das gefällt mir. Ich treffe alte Arbeitskollegen, meinen Nachbar und auch der Präsident des Quartiervereins gesellt sich zu unserem Grüppchen. Nicht belegt war an diesem Abend die Sirupkurve. Auf der überdeckten Extra-Tribüne nehmen normalerweise etwa hundert Kinder den Platz, trommeln wie wild auf fix installierten Pauken und trinken für 20 Franken pro Jahr uneingeschränkt Sirup am Verkaufsstand nebenan. Es ist das beste Fanprojekt für Kinder, das ich je gesehen habe. Auch das Spiel am letzten Montag war richtig mitreissend: Gute Chancen hüben wie drüben. Lattenknaller und Elfmeter. Schön herausgespielte Züge und herrliche Tore. Danke, für den fantastischen Fussball-Abend bei Flutflicht. FCW, du bist einfach zum Verlieben.
1z8a4686

HEREINSPATZIERT: Die Spieler beim Aufwärmen, Zuschauer strömen auf die Schützenwiese.

1z8a4683

HEISSHUNGER: Eine lange Schlage beim Freddy’s Berliner Bike Grill.

1z8a4682

PROMINENTER SPÄHER: Stéphane Chapuisat, einst Stürmerstar beim BVB, heute Chef-Scout bei Young Boys Bern.

QUER IN DER LANDSCHAFT: Der Salon Erika mit Kunstausstellung, daneben ein Stand mit Shots.

1z8a4666

WAS DAS FAN-HERZ ALLES BEGEHRT: Breite Auswahl an Angeboten beim Verkaufsstand.

1z8a4667

SOLIDARITÄT: Nach dem Frauenstimmrecht auch die Frauenabteilung.

1z8a4694

AUSGELASSENE STIMMUNG: Blick aus der Bierkurve rüber zur neuen Osttribüne und dem prägenden Sulzer-Hochhaus dahinter.

Die Schweizer Fussball-Nati im Morgenrot

EURO-2016-Sieger-Besieger! Und dies gleich mit 2:0! Die Schweizer überraschten diese Woche mit einem beeindruckenden Sieg gegen Portugal in der WM-Quali. Der nächste Entwicklungsschritt dieser Mannschaft steht nun bevor: Die Schweizer Nati wird  zur erweiterten Weltspitze im Fussball aufschliessen – zu Recht!

images-cms-image-004566878-1

Die Wolken verziehen sich, Morgenröte macht sich breit: Das Matterhorn.

Weltpokalsiegerbesieger! Dieser Begriff ist unvergessen und eng verbunden mit dem FC St. Pauli. im Februar 2002 besiegte der Kiez-Club völlig überraschend die Bayern. Man druckte Fan-T-Shirts mit dem Begriff, verkaufte sie hunderttausendfach. Und stieg wenig später in die 2. Bundesliga ab. Anders die Schweizer Nati: Die Freude über den Überraschungssieg gegen Portugal ist gross, die Euphorie allerdings nicht ausufernd. Und Geschäfte macht man damit schon gar nicht. Im Gegenteil: „Die Füsse auf dem Boden lassen,“ befiehlt Vladimir Petkovic. Der schweizerisch-kroatische Trainer spricht kaum deutsch und sonderlich beliebt ist er auch nicht im Land. Doch er wird erfolgreich sein. Sehr erfolgreich. Spätestens im Jahr 2020 steht die Schweizer Nati in einem Halbfinale eines grossen Turniers. Das sind die fünf Gründe dafür:
  1. Die Mannschaft besteht mittlerweile ausschliesslich aus Legionären: Alle Schweizer Spieler, die eingesetzt wurden, spielen im Ausland, die meisten bei grossen Clubs und damit nicht mehr in der bescheidenen Super League – nicht mal beim FC Basel, nein: Sie sind in England, Deutschland, Italien, Frankreich und in der Türkei Zuhause.
  2. Granit Xhaka entwickelt sich zum grossen Mittelfeldstrategen der Schweizer: Er wird gerne als „Grossmaul“ verschrien, verschoss den entscheidenden Elfmeter an der EM gegen Polen und hat kein sonderlich gutes Image. Nanu: Xhaka ist einfach selbstbewusst, ruhig, reif, technisch versiert und verleiht der Mannschaft enorme Stabilität und Kraft. Man wird in Zukunft noch viel von Xhaka hören – bei Arsenal und in der Nati.
  3. Die Schweizer neu ganz abgeklärt: Bei der WM 2014 gegen Argentinien knapp in der Verlängerung gescheitert. An der EM 2016 gegen Polen im Elfmeterschiessen versagt. Nun aber war der Auftritt voller Besonnenheit und Stärke. Von Nervosität keine Spur. Im Gegenteil: Die zahlreichen Spieler mit Hintergrund aus Ex-Jugoslawien verleihen der Mannschaft eine Abgeklärtheit, die ihr gut tut.
  4. Siege gegen grosse Mannschaften gab es schon immer. Würde im Fussball der Weltmeister nach dem gleichen Prinzip ermittelt wie im Boxen – nämlich indem man den amtierenden Weltmeister besiegt – dann wäre die Nati schon 7 Mal Titelträger gewesen: 1939 (für 2 Spiele), 1941 (1), 1942 (2), 1945 (1), 1970 (2), 1985 (5) und 1994 (1). Inoffiziell hielt die Schweiz damit während 1124 Tagen den inoffiziellen Weltmeistertitel inne.
  5. Die Schweiz im Morgenrot: “Trittst im Morgenrot daher/ Seh’ ich dich im Strahlenmeer“ so lauten die ersten Worte der  Nationalhymne, dem Schweizer Psalm. Singen kann dieses Lied in der Schweiz kaum ein Spieler. Egal: Das Morgenrot steht für Aufbruch und Hoffnung, in der Traumdeutung für  Erlösung. Wer weiss, vielleicht gelingt in naher Zukunft wirklich mal ein ganz grosser Exploit!

fahne1

Der ungarische Mourinho: Zum Todestag von Béla Guttmann

“The Special One”. So hat sich einst José Mourinho selbst bezeichnet. Doch diese Beschreibung hätte ebenso gut auf Béla Guttmann zugetroffen. Der Ungar, der 1899 in Budapest geboren wurde und am 28. August 1981 in Wien verstarb, war Zauberfuß, Enfant Terrible, Weltenbummler und Erfolgstrainer zugleich. Wenige Akteure haben ihren Mannschaften wohl so sehr den Stempel aufgedrückt wie Guttmann.

Ausnahmespieler mit kurzer Nationalmannschaftskarriere

Der Ungar war bereits in jungen Jahren Mittelfeldmotor bei seinem damaligen Klub MTK Budapest, wechselte aber 1922 zum jüdischen Klub Hakoah Wien. Mit diesem Team gelang Guttmann ein 5:0-Kantersieg gegen West Ham United und damit der erste Erfolg einer kontinental-europäischen Mannschaft gegen ein Team auf der Insel überhaupt. Später wechselte Guttmann noch nach New York, wo er sich neben dem Fußballspielen auch als Barbesitzer einen Namen machte (Günther Netzer lässt grüßen!).

Béla Guttmann als Spieler

Béla Guttmann zu seiner Zeit als Spieler bei Hakoah Wien


Dank seines Ausnahmetalents wurde er alsbald in die Nationalmannschaft berufen. Doch seine dortige Karriere nahm ein jähes Ende, noch bevor sie richtig begann. Denn Guttmann hatte sich mit den Fußballfunktionären seines Landes überworfen: um gegen die schlechte Unterbringung des Teams bei den Olympischen Spielen in Paris 1924 zu protestieren, überredete er seine Mannschaftskameraden, die Ratten in ihren Hotelzimmern zu fangen. Diese nagelte er dann an die Zimmertüren aller mitgereisten ungarischen Funktionäre, die im Gegensatz zur Mannschaft in Luxusherbergen untergebracht waren. 

Diese Geschichte zeigt bereits, wie streitfreudig Béla Guttmann sein konnte, wenn er sich um sein Recht betrogen fühlte. Dies sollte er im Laufe seiner Karriere noch einige Male empfinden. So auch bei zwei zentralen Stationen seiner langen Trainerkarriere.

Gefeuert als Trainer vom AC Mailand

Beim AC Mailand führte er die Mannschaft 1955 schon früh auf den ersten Tabellenplatz der Serie A und wurde dennoch vom Vorstand entlassen – offensichtlich wegen eines Zerwürfnisses mit der Klubführung. Anschließend polterte er in der italienischen Presse los, er sei “weder kriminell noch homosexuell” (Homosexualität stand in den 50er Jahren in vielen Ländern tatsächlich noch unter Strafe) und hätte sich auch sonst nichts zu schulden kommen lassen, aber man habe ihn trotzdem vor die Tür gesetzt. Ein für die Zeit einmaliges Vorgehen, hatten Trainer damals doch kein Standing und wurden von der Öffentlichkeit im Gegensatz zu den Spielern kaum wahrgenommen.

Der Guttmann-Fluch gegen Benfica

Benfic Lissabon trainierte Guttmann zwischen 1959 und 1962 und formte das portugiesische Team zum besten in Europa. Er gilt als Entdecker Eusébios. 1961 und 1962 holte er mit Benfica den europäischen Landesmeisterpokal. Im zweiten Finale deklassierte Guttmanns Elf Real Madrid mit 5:3 – und dennoch trat der Ungar nach dem Erfolg zurück. Angeblich hatte ihm die Klubführung Prämienzahlungen versprochen. Als die nicht kamen, schmiss der Trainer hin. Nicht jedoch, ohne auch in dieser Situation einen lauten Abgang zu wählen. Verbittert ließ er seinen Ex-Klub wissen:

“Ihr werdet nie wieder ein Europapokal-Finale gewinnen – nicht in 100 Jahren!”

Béla Guttmann nach seinem Abgang als Trainer über seinen Ex-Klub Benfica Lissabon

Diese Aussage Guttmanns ist heute als “Guttmann-Fluch” bekannt. Denn tatsächlich stand Benfica seitdem in nicht weniger als acht europäischen Finals, ohne jedoch eins davon zu gewinnen.

Globetrotter und Fußballvisionär

Doch neben seiner extravaganten Art war Béla Guttmann auch ein Botschafter des modernen Fußballs. Geprägt durch den schnellen, technisch starken Spielstil Ungarns zu jener Zeit, brachte er diesen Einfluss in all seine 25 Vereine seiner Trainerlaufbahn ein. Und das mit immensen Erfolg: er modernisierte nicht nur den Spielstil europäischer Top-Klubs wie Milan, Benfica oder Porto, sondern brachte das ungarische System sogar bis Brasilien. Als Trainer des FC São Paulo (1957-1958) exportierte er Kurzpasspiel und Pressing in das südamerikanische Land. Damit legte er den Grundstein, für die erfolgreichsten Jahre des brasilianischen Fußballs, die im Gewinn der Weltmeisterschaften 1958 und 1962 mündeten.

Botschafter des schönen Fußballs

Béla Guttmann war mit seiner aneckenden Art der frühe Vorgänger von Lautsprecher-Trainern wir José Mourinho. Dies alleine bot in den 50er und 60er Jahren schon genug Aufmerksamkeitspotenzial. Doch einzigartig macht ihn der große Einfluss, den sein Wirken als Trainer weltweit hatte. Er prägte alle seine Mannschaften mit seiner modernen Spielidee und verhalf ihnen zu beachtlichen Erfolgen. Durch ihn wurde der ungarische Fußball in die ganze Welt exportiert, die bis dahin nur Kick & Rush kannte. 

Wer noch mehr von Béla Guttmann wissen möchte, dem seien folgende Tipps empfohlen:

Der Bullenkopf von Dresden und andere bemerkenswerte Gegenstände im Stadion

Beim Pokalspiel gegen RB Leipzig begrüßten die Fans von Dynamo Dresden ihren Gegner mit einem abgetrennten Bullenkopf. Wie kreativ oder doch eher geschmacklos diese Aktion einzustufen ist, mag jeder selbst befinden. Der DFB ermittelt jedenfalls.

RBL

Es drängt sich die Frage auf, wie es bei einem als Hochsicherheitsspiel möglich war, diesen Kaventsmann mit ins Stadion zu bringen. Vielleicht hatte ein kaltblütiger Sachse den Bullenkopf in einem Brötchen versteckt und als Pausenbrot eingeschmuggelt.

Jedenfalls werden Erinnerungen wach an ähnliche Vorkommnisse, allen voran der fliegende Schweinekopf auf Luis Figo im Camp Nou bei seinem Auftritt mit Real Madrid 2002:

Das Bemerkenswerteste an dieser Aktion war eigentlich nicht der Schweinkopf an sich, sondern die Ruhe und Gelassenheit, mit der Luis Figo komplette Haushalte wegräumt, die um ihn herum auf den Rasen prasseln.

Nicht zuletzt darf man in diesem Rahmen das fliegende Motorino von Mailand nicht vergessen (aka “The Holy Vespa”). Beim Derby zwischen Inter und Milan im Jahr 2001 flog plötzlich ein alter Motorroller durch den Oberrang. Vermutlich falsch abgebogen: