Bonjour Tristesse: Überlegenheit des FC Bayern München gefährdet die Attraktivität der Bundesliga

Tim 7. Januar 2016
FC Bayern München schafft Langeweile in der Bundesliga

Die Hinrunde ist zu Ende und der FC Bayern München ist alleiniger Tabellenführer – soweit scheint die Bundesligasaison 2015/2016 wenig von anderen Spielzeiten abzuweichen. Doch das Erschreckende an der aktuellen Spielzeit ist, dass der Klub von der Säbener Straße bereits jetzt einsam seine Kreise zieht. Das Team hat einen veritablen Vorsprung von 8 Punkten auf seinen ärgsten Verfolger, den BVB. Doch ob man die Dortmunder ernsthaft als einen solchen bezeichnen kann, ist aufgrund der Leichtigkeit und der Konstanz, mit der Guardiolas Mannschaft ihr Pensum runterspielt, mehr als fraglich.

Vor diesem Hintergrund stellt sich immer drängender die Frage: Gefährdet die Überlegenheit des FC Bayern die Attraktivität der Bundesliga?

Bayern wertvoller als Schalke, Leverkusen und Wolfsburg zusammen

Dass die Bayern ihren Kontrahenten in den letzten Jahren immer weiter enteilt sind, zeigt ein Blick auf die Zahlen. Die Mannschaft des Rekordmeisters wird bei Transfermarkt.de (Stichtag 1.1.2016) mit 617 Mio. Euro taxiert. Damit wird ihr Marktwert nicht nur mehr als doppelt so hoch wie der von Borussia Dortmund angesetzt, sondern das zusammengestellte Starensemble kostet (theoretisch) so viel wie die Teams von Wolfsburg, Leverkusen und Schalke zusammen. Das Alarmierende daran ist der Trend, denn der Abstand zwischen den Münchnern und den anderen Mannschaften wird immer größer.

Entwicklung des Mannschaftswerts des FC Bayern München im Vergleich zur Konkurrenz (Grafik zum Vergrößern anklicken): 

Marktwert vom FC Bayern München wird immer größerQuelle: Transvermarkt.de (Stand: 1.1.2016)

Geld schießt keine Tore – oder doch?

Fußballromantiker führen nun ins Feld, dass “Geld keine Tore schießt”. Dies mag situationsbezogen stimmen, in der mittel- bis langfristigen Betrachtung besteht zwischen der Investitionssumme in Spieler sowie sportlichen Erfolgen, also Titeln, durchaus eine deutliche Korrelation.

Anteil der FCB-Meisterschaften pro Jahrzehnt steigt

Wir haben uns die Meisterschaften des FC Bayern genauer angeguckt und den Anteil der Titel des Rekordmeisters pro Jahrzehnt verglichen. Dieser stieg seit Gründung der Bundesliga 1963 kontinuierlich, doch noch nie war er so hoch wie im aktuellen Jahrzehnt. In anderen Worten: die Wahrscheinlichkeit, dass München am Ende einer neuen Saison die Meisterschale in den weiß-blauen bayerischen Himmel streckt, war noch nie so groß.

Anteil der Meistertitel durch den FC Bayern in dem jeweiligen Jahrzehnt:

Jahrzehnt FCB-Meisterschaften Anteil im Jahrzehnt
1960er 1 14%
1970er 4 40%
1980er 6 60%
1990er 4 40%
2000er 6 60%
2010er 4* 67%

*Inklusive der sehr wahrscheinlichen Meisterschaft in diesem Jahr

Fehlt die Spannung, schwindet das Interesse

Doch Fußball lebt davon, dass die Leute nicht wissen, wer am Ende gewinnt. Deshalb gehen sie ins Stadion. Wenn diese Weisheit durch die grenzenlos scheinende Überlegenheit der Bayern nun ad absurdum geführt wird und die Leute schon vorher überzeugt sind, wer gewinnt, nämlich mit hoher Wahrscheinlichkeit der FC Bayern, dann bricht ein fundamentaler Baustein weg, auf dem die Attraktivität der Bundesliga fußt. Fehlt die Spannung, wird auch das Interesse am Spiel schwinden.

Die relative Ausgeglichenheit der Bundesliga ist ihr bislang größter Trumpf im Vergleich mit anderen europäischen Ligen: während dort die Meisterschaft meist nur zwei, drei oder maximal vier Klubs unter sich ausmachen, gab es im deutschen Fußball immer wieder Überraschungsteams, die den Ambitionierten ein Schnippchen geschlagen und den Titel weggeschnappt haben. Diese Zeiten scheinen nun auch hierzulande vorbei zu sein.

Gedankenspiele: Welche Auswirkungen könnte die Überlegenheit des FC Bayern haben?

Wenn man die Dominanz der Bayern einmal konsequent weiter denkt und ein Szenario malt, bei dem die Münchner wirklich so gut wie jedes Spiel gewinnen, wie sähen die Konsequenzen aus? Folgendes wäre durchaus denkbar:

  • Trainer treten gegen München mit B-Elf an
    Der Frankfurter Trainer Armin Veh hat es im Februar 2014 bereits vorgemacht und ist beim Auswärtsspiel von Eintracht Frankfurt in der Allianz Arena ohne seine besten Spieler angereist. Stattdessen lief eine bessere B-Elf auf und holte sich die erwartbare 5:0-Schlappe ab. Die drei Punkte hatte Veh ohnehin schon vorher abgeschrieben.
    Wenn gegnerische Trainer in Zukunft noch einen Schritt weitergehen, könnten sie aufgrund mangelnder Erfolgsaussichten gar ein komplettes Reservistenteam gegen den FC Bayern antreten lassen – daheim sowie auswärts. Die Siege der Münchner würden noch deutlicher ausfallen, die Spannung allerdings ungefähr auf Höhe des Gefrierpunkts angesiedelt sein.
  • Keine Spannung, keine Stimmung, rückläufige Zuschauerzahlen
    Wenn die Trainer der gegnerischen Mannschaften Ernst machen und tatsächlich gegen den Ligakrösus ohne Stammelf antreten, dann wird die Spannung bei Spielen in der Allianz Arena wie beschrieben weiter schwinden. Denn man muss kein Prophet sein um vorherzusagen, dass das Starensemble die Reservemannschaften aus dem Stadion schießen wird.
    Mit der schwindenden Spannung wird jedoch auch die jetzt schon magere Stimmung im Münchner Stadion weiter abnehmen. Außer kurzen emotionsleeren Jubeln nach den erwarteten Toren durch Müller, Lewandowski und Co. werden sich die Zuschauer in ihre Konsumhaltung zurückziehen und kaum aktiv am Spielgeschehen teilnehmen.
    Theoretisch könnte es aufgrund mangelnder Spannung und schlechter Atmosphäre auch zu einem Rückgang der Zuschauerzahlen in München kommen. Die Erfahrungen bei ähnlich dominanten Teams wie dem FC Barcelona oder Real Madrid zeigen jedoch, dass auch dann noch genug Erfolgsfans ins Stadion pilgern und die wenigen wegbleibenden Anhänger durch internationale Eventfans ersetzt werden.
  • Kein Topspielzuschlag mehr bei FCB-Auswärtsspielen
    Sollten die gegnerischen Teams selbst daheim nur mit dem zweiten Anzug gegen den Rekordmeister antreten, wird es schwer werden, Topzuschläge für diese Partie bei der eigenen Anhängerschaft durchzusetzen. Vermutlich fallen diese weg, eine Eintrittskarte für ein Heimspiel gegen den FC Bayern wird nicht mehr kosten als gegen Darmstadt 98.
  • Noch weniger Freude über Meisterschaften in München
    Wenn die Überlegenheit von Bayern München weiter zu nimmt, werden Siege noch erwartbarer und Meisterschaften selbstverständlich. Letztlich wird die Freude über den X-ten Titel in Folge nur mehr ein kurzes Lächeln als eine ausgelassene Meisterfeier mit hunderttausenden Fans auf den Straßen sein.
  • Nur Gegner nach feststehender Meisterschaft haben eine Chance
    Es war in den letzten zwei Spielzeiten auffällig, dass die Münchner mindestens zwei Gänge zurückschalteten, nachdem die Meisterschaft rechnerisch feststand. Nicht zuletzt Pep Guardiola selbst hat durch seine Rotation bei der Aufstellung dazu beigetragen, dass der Eindruck entstand, die Bayern würden die ausstehenden Begegnungen in der Bundesliga mehr als lästiges Pflichtprogramm denn als ernsthaftes sportliches Kräftemessen verstehen. Auf einmal war es mit der fußballerischen Übermacht der Bayern vorbei und selbst Underdogs wie der SC Freiburg oder der FC Augsburg konnten den Remordmeister bezwingen. Nicht wenige Beobachter sahen in den lustlosen Auftritten der Bayern Wettbewerbsverzerrung. Zumindest lässt sich festhalten, dass es für Mannschaften ein klarer Vorteil zu sein scheint, erst gegen die Münchner in der Rückrunde antreten zu müssen, wenn diese bereits als Meister feststehen. Nur diese Teams werden letztendlich eine reelle Chance haben, gegen Goliath etwas mitzunehmen.

Fazit

Das skizzierte Szenario um denkbare Folgen einer nicht mehr umkehrbaren Überlegenheit der Münchner ist wohl eindeutig für alle Seiten nicht wünschenswert. Gleichwohl zeigt es auf, welch dramatische Auswirkungen eine weiter steigende Dominanz für die Liga und ihre Attraktivität hätte.

Man wünschte sich, Karl-Heinz Rummenigge würde weniger kurzsichtig argumentierte und die langfristigen Konsequenzen bedenken, wenn er mal wieder mehr Geld aus dem Fernsehtopf für seinen Verein fordert und gleichzeitig das Solidaritätsprinzip in Frage stellt. Im Gegenteil: Um zu vermeiden, dass der FC Bayern der Konkurrenz noch weiter enteilt, kann man an die DFL nur appelieren, den TV-Geld-Schlüssel in Zukunft nicht weiter zugunsten des Rekordmeisters zu ändern.
Denn eines sollte auch Karl-Heinz Rummenigge klar sein: Ohne eine attraktive, einigermaßen ausgeglichene und dadurch spannende Bundesliga ist auch der FC Bayern letztendlich nichts wert.