Mehr Stehplätze, mehr sportlicher Erfolg: Wie der HSV nie wieder in der Relegation landet

Tim 15. April 2016
HSV-Fankurve im Hamburger Volksparkstadion

Die Dortmunder Südtribüne ist eine Institution. Mit mehr als 25.000 Plätzen gilt sie als größte Stehtribüne Europas und übt auf Fans wie Spieler eine fesselnde Faszination aus.

Für Borussia Dortmund ist sie ein Segen – und keine Selbstverständlichkeit. War das Westfalenstadion noch Ende der 80er Jahre nicht selten nur halb voll, so versammeln sich heutzutage jedes Spiel so viele Menschen auf „der Süd“ wie damals insgesamt ins Stadion kamen. Der Verein hat ihre Bedeutung erkannt und ihren Ausbau konsequent vorangetrieben.

Wie wertvoll eine prall gefüllte, vibrierende Fankurve ist, bekam man am Beispiel des BVB in den Klopp-Jahren mehr als einmal vor Augen geführt. In der Anfangszeit war „die gelbe Wand“ maßgeblich am Erfolg der jungen Elf beteiligt: Jürgen Klopp und Michael Zorc hatten eine talentierte, doch noch unerfahrene Mannschaft zusammengestellt. Dass sie so schnell in die Erfolgsspur fand, lag nicht zuletzt an der fulminanten Unterstützung durch die Zuschauer. Bei Heimspielen wuchs das junge Team regelmäßig über sich hinaus und kompensierte die fehlende Erfahrung durch Sturm und Drang – nach vorne gepeitscht durch 25.000 leidenschaftlich unterstützende Fans.

In der Saison 2013/2014, als der BVB bis in das Champions-League-Finale vordrang, hatte die Südkurve ebenfalls maßgeblichen Anteil an dem Erfolg. Alleine am Halbfinalspiel gegen den FC Malaga wird dies deutlich. Bis kurz vor Ende der Verlängerung lagen die Borussen im alles entscheidenden Heimspiel noch mit 1:2 hinten. Es war einer dieser magischen Abende im Westfalenstadion, an dem Mannschaft und Zuschauer Eins werden. Auf den Rängen bebte es. Angetrieben vom Epizentrum „Süd“ waberten die Gesänge und Anfeuerungen nach und nach auf alle Tribünen und die Elf von Jürgen Klopp mobilisierte noch einmal die letzten Kräfte. Am Ende drehten die Schwarz-Gelben das Spiel in den letzten Minuten und zogen durch ein 3:2 ins Endspiel ein.

Wo bleibt die zweite Südtribüne?

Betrachtet man die sportliche Bedeutung der Südkurve und seiner Fans für Borussia Dortmund, so fragt man sich, wieso nicht mehr Vereine versuchen, diesem Erfolgsmodell nachzueifern. Eine stimmungsvolle Stehplatztribüne kann den sportlichen Erfolg einer Mannschaft maßgeblich positiv beeinflussen. Und da sportlicher Erfolg meist mit finanziellen Vorteilen einhergeht (z.B. die Mehreinnahmen des BVB durch den Finaleinzug), so haben Fankurven auch eine wirtschaftliche Bedeutung.

Klar, nicht jeder Verein kann sich so glücklich schätzen, ein so dicht bewohntes Einzugsgebiet und eine so große Anhängerschaft zu haben wie der BVB. Bei Hoffenheim oder Ingolstadt könnte man wahrscheinlich noch so große Stehplatztribünen hinstellen, mehr Zuschauer und Stimmung kämen nicht dabei heraus. Aber gleichzeitig gibt es eine Reihe von Vereinen, bei denen die Anzahl der aktiven Fans groß genug ist, dass sie eine ganze Tribüne zum Leben erwecken können.

Beispiel HSV: mit mehr Stehplätzen keine Relegation, dafür eher wieder Europapokal

Nehmen wir das Beispiel Hamburger SV. Wir wagen die These, dass der HSV mit einer großflächigen Stehplatzkurve, die die Mannschaft frenetisch anfeuert, pro Saison 6-8 Punkte mehr holen würde. Klingt im ersten Moment nicht viel, hätte aber in den beiden letzten Jahren den Verein davor bewahrt, überhaupt in die Relegation gehen zu müssen. In zukünftig guten Jahren könnten mehr Stehplätze das Zünglein an der Waage sein, wenn die Europapokalplätze vergeben werden.

Wie könnte eine solche Stehplatzkurve in Hamburg aussehen?

Aktuell erstreckt sich die Fankurve der HSV-Anhänger zwar über die ganze Breite der Nordkurve des Volksparkstadions, doch beschränkt sie sich lediglich auf den untersten Rang. Wie wäre es wohl, wenn auch der Mittelrang zu Stehplätzen umgewandelt würde? Anhand unserer Fotomontage bekommt man einen ersten Eindruck, wie viel eindrucksvoller bei einer solchen Tribüne bereits ihr Anblick wäre – geschweige denn die Lautstärke ihrer Fangesänge.

Blick auf die reale HSV-Fankurve der Nordtribüne des Volksparkstadions:

 

HSV-Fankurve im Hamburger Volksparkstadion

 

Fotomontage: Die Nordkurve mit Stehplätzen in Unter- und Mittelrang wirkt deutlich eindrucksvoller

 

Stehplatztribüne in der Nordkurve (Fotomontage)

 

Würde ein größerer Fanblock überhaupt gefüllt?

Im aktuellen Stehplatzblock finden ca. 10.000 HSV-Fans Platz. Fast alles sind Dauerkarteninhaber, das heißt, es gibt so gut wie keine Stehplatzkarten im Einzelverkauf. Weniger gut betuchte Anhänger aus sozial schwächeren Milieus, die aber häufig besonders gesangsfreudig und damit für die Stimmung im Rund verantwortlich sind, verzichten deshalb auf den Stadionbesuch komplett oder weichen auf die nächst günstige Ticketkategorien aus: Sitzplätze im obersten Rang, irgendwo im Stadion verteilt. Eine Metropole wie Hamburg mit knapp 1,8 Mio. Einwohnern und einer engen Verbundenheit mit dem Heimatverein hätte mit Sicherheit das Potenzial, eine Stehplatztribüne von mehr als 15.000 Plätzen zu füllen. Der zweite ortsansässige Profiverein, der FC St.Pauli, macht es in der 2. Liga vor: dort stehen jedes zweite Wochenende mehr als 15.000 Anhänger und peitschen ihre Mannschaft nach vorne.

Welche finanziellen Konsequenzen hätte eine Umrüstung für den Klub?

Entschließe sich die Führungsriege um Didi Beiersdorf dazu, den Nordkurvenmittelrang in einen reinen Stehplatzblock umzuwandeln, würde dies mit einer Senkung der Eintrittspreise pro Platz einhergehen (von einem Dauerkartenticket-Anteil von ca. 21 EUR/Spiel auf ca. 10 EUR). Auch finanzschwächere Fans hätten damit wieder die Chance auf ein günstiges Ticket, für den Verein bedeutet dies aber weniger Umsatz pro Platz. Dieser Rechnung kann man allerdings entgegenhalten, dass ja auch mehr Tickets in den umgewandelten Blöcken verkauft werden können. Nimmt man bspw. an, dass aktuell ca. 4.000 Sitzplätze im Nordkurvenmittelrang angesiedelt sind, die zu 8.000 Stehplätzen umgerüstet würden, dann hätte der Verein bei Vollauslastung die Umsatzeinbußen nahezu kompensiert.

Sicherlich müsste Beiersdorfs Stadionmanager mehr Sicherheitspersonal für den erweiterten Fanblock einplanen, was mit (überschaubaren) Mehrkosten einherginge. Doch alleine die Aussicht auf mehr sportlichen Erfolg durch größere Präsenz und Einfluss der Fankurve auf die Spiele der Mannschaft, dürfte die finanziellen Einbußen mehr als aufwiegen.

Mehr Stehplätze wagen – aber richtig

Deshalb unser Plädoyer an die Bundesliga-Vorstände (und bei städtischen Stadien: die Sportdezernenten der Kommunen): mehr Stehplätze wagen heißt, mehr sportlichen Erfolg genießen, heißt mehr wirtschaftlichen Erfolg sichern. So einfach ist (in der Theorie) der Kausalzusammenhang. Es wäre schön, wenn zumindest einige Verantwortliche den Mut fänden, diese lohnende Experiment auszuprobieren.

Ach so, wie es nicht geht, hat der HSV vor einigen Jahren selber gezeigt. Der Klub hatte damals in der Nordwest-Ecke im Oberrang 1.400 Sitzplätze in 3.000 Stehplätze umgewandelt und sie den Ultras zur Verfügung gestellt. Der Effekt: das Häufchen Ultras erfreute sich an seinem Dauergesang, den aber sonst kaum jemand im Stadion mitbekam. Während dessen war die Stimmung im eigentlichen Fanblock meist mau, fehlten mit den Ultras doch die Stimmungsmacher und Vorsänger. So blieb auch der erhoffte sportliche Vorteil auf der Strecke.