So ginge ein Boykott der WM in Russland und Katar

Nils 22. März 2015
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Die Stimmen für einen Boykott der Weltmeisterschaften 2018 in Russland und 2022 in Katar werden lauter. Erst kürzlich hatte der ukrainische Präsident Poroschenko gefordert, Russland aufgrund des Krieges in der Ostukraine die WM zu entziehen und viele europäische Politiker haben ihm zugestimmt.

Am Freitag meldete sich der ewige FIFA-Boss Sepp Blatter mit einer eindeutigen Absage für derartige Pläne:

“Die WM wird in Russland stattfinden. Das ist sicher. Ein Boykott einer WM oder irgendeiner Sportveranstaltung führte noch nie zu einer Lösung.”

Basta! Was könnte man dem größten Fußballfürsten aller Zeiten hier entgegenhalten?

Zunächst sollte man sich die Frage stellen, ob ein Boykott überhaupt “etwas bringen” muss. Sollte es nicht vielmehr Grund genug sein, eine weltweit beachtete Sportveranstaltung schon deshalb nicht in einem Land stattfinden zu lassen, weil dieses Menschenrechte mit Füßen tritt? Die vielen Toten auf den WM-Baustellen in Katar sollten hier schon Grund genug sein.

Wer sich mit den Opferzahlen in Katar bisher noch nicht beschäftigt hat, sollte sich besser setzen, denn es geht hier nicht um eine Handvoll Opfer aufgrund eines tragischen Unglücks. Die allgemeinen Arbeitsbedingungen für die vielen Gastarbeiter aus Indien und Nachbarstaaten sind derartig schlecht, dass man bisher von rund 1.000(!) Toten ausgeht (Studie des internationalen Gewerkschaftsbundes). Nach der Studie rechnet man mit etwa 4.000 toten Gastarbeitern bis zum Beginn der WM 2022. Zum Vergleich: Die Terroranschläge am 11. September 2001 forderten etwa 3.000 Opfer. Das sind nur vage Zahlen, aber sie passen zu einer offiziell bestätigten Untersuchung, wonach 2012 und 2013 insgesamt 964 Gastarbeiter aus Nepal, Indien und Bangladesh in Katar ums Leben kamen (allerdings nicht nur auf WM-Baustellen). Selbst wenn diese Zahlen nur annähernd stimmen, machen sie schon für sich allein eine Beteiligung an der WM in Katar unakzeptabel.

Und auch wenn ein Boykott nicht zwingend etwas bewirken muss, könnte er es doch tun. Wenigstens wäre es ein Fingerzeig. Ein ausgestreckter Zeigefinger, gerichtet auf das, was schief läuft in den beiden Ländern.

Idealerweise müssten Sportverbände wie das IOC oder die FIFA das Prestige, das die Austragung einer Sportgroßveranstaltung mit sich bringt, nutzen, um strukturelle Verbesserungen bei Menschenrechten und Schutz von Minderheiten einzufordern. Sie könnten es tatsächlich tun, denn sie verfügen bei diesen Entscheidungen über politische Macht, die man sinnvoller nutzen könnte, als sich immer nur die eigenen Taschen zu füllen.

Bei der FIFA und dem IOC ist jedoch kaum Besserung in Sicht. Leider hat sich auch DFB-Präsident Niersbach bereits gegen einen Boykott ausgesprochen, weil seiner Meinung nach nur die Sportler die Leidtragenden wären. Dabei wäre es schon spannend, was passieren würde, wenn Länder wie Deutschland, Brasilien und Spanien ihre Teilnahme absagen würden. Würden sich mehrere Länder zusammentun, wäre sogar eine alternative WM denkbar, offen für alle, die sich anschließen wollen. Auf die FIFA könnte man dabei gut verzichten. Leider wohl nur Wunschdenken.

Am Ende wird wohl alles so stattfinden wie immer. Viele werden vermutlich mit ihrem Gewissen ringen und dann doch der WM-Begeisterung folgen, so wie es Carolin Emcke in der SZ formulierte (“Unter Fans”, SZ vom 28.2./1.3.2015, S. 5):

Wie lange belüge ich mich noch? […] Wie lange will ich mich noch vorab echauffieren und dann am Ende doch alle Spiele schauen?

Helfen würde es nur, wenn man jetzt versuchen würde, die WM-Austragung zu verhindern. Auch hierfür hat Emcke eine interessante Idee, indem sie vorschlägt, Druck auf die wichtigsten WM-Sponsoren auszuüben (Adidas, Budweiser, Coca Cola, McDonald’s u.a.).

Ein WM-Boykott macht Sinn. Und wenn die Fußballverbände nichts unternehmen wollen, bleiben nur noch die großen Sponsoren, die unter dem Druck eines drohenden Image-Schadens eine Absage erteilen und die Durchführung ins Wanken bringen könnten. Vielleicht braucht es dafür einen rührenden Kinofilm, der von Schicksalen der Familien verstorbener Gastarbeiter in Katar erzählt. Bloße Opferzahlen scheinen jedenfalls nicht auszureichen und den Organisatoren in Katar sind die Toten offenbar egal, solange die Kasse stimmt.