RasenBallsport Leipzig – Ein Selbstversuch mit einem Schluck Red Bull

Tim 12. November 2014
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Red Bull Leipzig Bashing gehört unter nostalgischen Fußballfans heutzutage ja zum guten Ton. In der zweiten Bundesliga hat der Protest sogar Struktur, vereinsübergreifend haben sich Fangruppierungen solidarisiert und zum Boykott des Clubs aus der Sachsenmetropole aufgerufen.

Auch wir von den Stehplatzhelden hegen keine große Sympathie für den hyperkommerzialisierten Fußball. Um es diplomatisch auszudrücken, den Marketing-Feldversuch des österreichischen Brauseherstellers in Leipzig sehen wir mehr als kritisch. Dennoch wollten wir uns nicht nur von dem in den Medien skizzierten Bild beeinflussen lassen,  sondern uns einen eigenen Eindruck vor Ort verschaffen. Unserer jüngste Groundhopping-Tour nach Berlin haben wir deshalb mit einem Abstecher zum Spiel von RB Leipzig gegen den VFL aus Bochum verbunden.

Retortenclub mit charmantem Stadion

Um es vorwegzunehmen, wir mussten unsere vorgefärbte Meinung revidieren – zum Teil zumindest. Bereits auf dem Weg ins Stadion bekam unser Bild vom Retortenclub erste seichte Kratzer. Denn die Leipziger Arena ist behutsam in das ehemalige Zentralstadion gebaut worden. Rings um die neuen Tribünen erheben sich noch die ehrwürdigen Ränge des ehemaligen Zentralstadions, das einst zu den größten Stadien Europas zählte. Meist sind sie durch gepflegten Rasen bewachsen. Stellenweise hat man aber noch die alten Holzbänke erhalten, um dem Betrachter einen besseren Eindruck vom ehemaligen Rund zu vermitteln.

Die Konstruktion hat den schönen Effekt, dass sich die wandlungsreiche Geschichte des Zentralstadions auf die Nachfolgearena zu vererben scheint. Sie wirkt dadurch überhaupt nicht wie ein gesichtsloser Fertigbaukasten, sondern wie die gelungene Fortführung. Im Übrigen ist das neue Leipziger Stadion alles andere als schnöde, sondern überzeugt mit seinen steilen Tribünen und guter Akustik.

 

Zugegeben, die schöne Heimspielstätte hat Leipzig nicht Red Bull zu verdanken, sondern der Fußballweltmeisterschaft 2006 und dem DFB. Allerdings hat uns auch überzeugt, was wir innerhalb des neuen Runds zu sehen bekamen.

Ordentliche Stimmung und angenehme Atmosphäre 

Zunächst einmal war das Spiel der Betriebssportmannschaft offensiv ausgerichtet und durchaus attraktiv anzugucken. Dazu trugen auch Peter Neururers Bochumer bei, die nach einer verhaltenen ersten Halbzeit in der zweiten Hälfte wesentlich griffiger und mutiger agierten.

Fankurve Stadion RB LeipzigBesonders überrascht hat uns aber die Atmosphäre. Hatten wir mit wenigen Tausend Erfolgsfans auf überwiegend leeren Rängen gerechnet, so waren wider Erwarten mehr als 30.000 Zuschauer beim Freitagabendspiel. Dazu beigetragen hat sicherlich eine Freikartenaktion des ortsansässigen Werks eines deutschen Sportwagenherstellers für seine Mitarbeiter. Aber das soll der guten Besucherzahl keinen Abbruch tun. Auch wirkte die Mischung an Zuschauern sehr bunt: Kuttenfans neben Familienvätern mit Nachwuchs, junge Ultras neben Seniorenpärchen – allesamt friedlich beim Fußballgucken vereint. So soll es sein.

Auch die Stimmung war ordentlich: die Fankurve gut gefüllt und zwei, drei Capos gaben sich alle Mühe, die Anhänger zum aktiven Support zu animieren, was ihnen fast über die gesamte Spielzeit gelang. Bei den Anfeuerungsrufen ist uns allerdings Folgendes aufgefallen: die Gesänge waren ausschließlich positiv und familientauglich. Es gab keine üblen Beschimpfungen der (wenigen) mitgereisten Bochumer Fans noch der gegnerischen Spieler. Sofort brach das Misstrauen bei uns durch gepaart mit der Frage, ob wohl die PR-Abteilung von Red-Bull-Patriarch Dietrich Mateschitz den Fans das Liedgut ins Gesangsbuch diktiert hat.

“Rote Bullen” ist Werbebotschaft, nicht Schlachtruf  

Diese vielen positiven Faktoren konnten allerdings nicht komplett darüber hinwegtäuschen, dass einiges noch arg gekünstelt wirkt. Alleine der Kosename “Rote Bullen”, der vom Vorstand versucht wird zu etablieren. Etwaige unterbewusste Zusammenhänge zur Brausemarke sind natürlich zufällig. Deshalb kann man nur hoffen, dass sich der Begriff “Rote Bullen” nicht etablieren wird. Mit großen Namen wie “Gladbacher Fohlen” oder “Schalker Knappen” hat er nichts gemein.

In Leipzig trinkt man Red Bull im Stadion

Auch bei choralen Fangesängen im Zusammenspiel zwischen Kurve und Haupttribüne stellen sich einem die Nackenhaare auf, wenn langgezogene “Rrrrrr-Beeee”-Rufe durch das Rund schallen. Verbirgt sich hinter den Initialen doch eigentlich der Firmenname des Limonadenherstellers und nicht die an den Haaren herbeigezogene, wenn auch offizielle Kunstbezeichnung “RasenBallsport” (diese müsste orthografisch korrekterweise zusammengeschrieben werden – ohne hervorgehobenes großes “B”; und wir fragen uns außerdem: boykottiert der Club Hallenfußballturniere?). Deshalb wirkten diese Fangesänge in unseren Ohren wie die Huldigung eines Konsumgüterproduzenten.

Fazit: Positiv überrascht, aber nicht verblendet 

Am Ende überwogen bei uns jedoch die positiven Eindrücke, die wir aus Leipzig mitnahmen. Das Stadion hat viel Charme, das Leipziger Publikum scheint sich so sehr nach Profifußball zu sehnen, dass man das Produkt RB Leipzig annimmt, die Atmosphäre im Stadion ist gut und macht einen reiferen Eindruck als erwartet. Doch gleichzeitig werden wir unsere Vorbehalte gegenüber dem, was in Österreich auf dem Reißbrett für Leipzig geplant wurde, nicht aufgeben. Vielmehr nehmen wir die zarten positiven Eindrücke unseres Besuchs in Sachsen zum Anlass, noch genauer hinzuschauen, wie sich die Dinge in Leipzig entwickeln. Wenn die Verantwortlichen genug Freiräume einräumen, dass sich die Fankultur und Vereinsstrukturen organisch entwickeln können, freuen wir uns auf Leipzig im Profifußball. Sollen die Fans aber nur den Grußonkel geben und als Feigenblatt die eigentlichen Absichten des Finanziers kaschieren, ohne dass sie sich einbringen und die Geschicke des Vereins kreativ mitgestalten können, dann birgt das Projekt RB Leipzig die Gefahr, einen (weiteren) seelenlosen Akteur im Bundesligazirkus zu schaffen.