Konservativ, konservativer, Fußballfan
Seit langem habe ich mir mal wieder das Kicker Sonderheft zur neuen Bundesligasaison gekauft. Zuerst war ich entsetzt: Alles, vom Layout, über die Vorstellungen der Mannschaften, Teamfotos und Statistiken bis hin zur Stecktabelle ist haargenau so wie vor gefühlten 20 Jahren. Dann habe ich mich gefragt, ob es einfach nur daran liegt, dass der Olympia-Verlag in Nürnberg ein bisschen eingestaubt ist und man sich das Leben eben einfach macht, indem Jahr für Jahr dieselbe Vorlage herausgeholt wird. Designer werden dort wohl kaum gebraucht.
Mit diesem Urteil würde man den Leuten vom “kicker” aber wohl Unrecht tun. Vielmehr scheint ihre Zielgruppe, die Fußballfans in Deutschland, genau das zu wollen: Ein Sonderheft wie es immer schon war. Der kicker und sein steinaltes Layout sind nur ein weiteres Beispiel dafür, dass man den Superlativ für konservativ auch mit “Fußballfan” ersetzen könnte.
Erstaunlich wird diese Betrachtung, wenn man zum Beispiel die Fans des FC St. Pauli nimmt, die sich selbst wohl kaum als konservativ einstufen würden. Im klassischen, politischen Sinne mögen sie es auch nicht sein (wobei teilweise vielleicht doch?), aber wenn es um ihren Verein und die Veränderungen in der Welt drumherum geht, erfüllen sie erstaunlich viele Kriterien für eine erzkonzervative Einstellung: Die Wahrung der Werte des Clubs steht an erster Stelle und es soll möglichst alles so bleiben wie es ist. Dasselbe findet man natürlich genauso bei anderen Clubs vor, in stärkerer Ausprägung bei den Traditionsvereinen.
Ganz aktuell findet man das Phänomen “konservativer Fußballfan” in der Diskussion um den rasanten Aufstieg von Rasenballsport Leipzig wieder, den ich zugegebenermaßen auch mit Argwohn betrachte. Mir liegt eben etwas daran, auch in Zukunft die klassischen Traditionsvereine in der Bundesliga spielen zu sehen und nicht immer mehr Werksclubs im weitere Sinne. Konservativ eben.
Bei genauerer Betrachtung findet man jedoch in der Kritik an RB Leipzig nur wenig Substanz. Letztendlich wird immer nur stumpf auf Tradition gepocht. Selbst die (konservative) FAZ tut die Aufregung um RB Leipzig als Heuchelei ab, verweist auf die zunehmende Kommerzialisierung und Einbeziehung externer Geldgeber bei fast allen Vereinen und zitiert einen Sportwissenschaftler wie folgt:
„Fußballfans sind sehr rückwärtsgewandt. Sie sehen sich als letzte ehrenvolle Amateure und hassen es, wenn ein Verein keine Traditionen hat. Die Fans pflegen eine fiktive Sportromantik, ein hoffnungsloses Unterfangen in heutiger Zeit. Die negativen Folgen dieser Anschauung zeigen sich jetzt auch bei den Anfeindungen gegen RB Leipzig“, sagt der Philosoph und Sportwissenschaftler Gunter Gebauer. Allerdings betont er, dass die Fans zugleich mit ihrer konservativen Grundhaltung für die regionale Verankerung eines Vereins sorgen.
Letztendlich kann und sollte man sich wohl einfach eingestehen, dass die behagliche Fußballwelt etwas sehr Konservatives ist und dass das Fandasein viel mit romantischer Illusion zu tun hat – warum auch nicht. Ganz im Sinne des Zitats aus dem Woody Allen Film “Deconstructing Harry (Harry außer sich)” von 1997:
“Tradition is the illusion of permanence (Tradition ist die Illusion der Beständigkeit)”
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