Fußball-Internet-Radio: Die DFL zieht bei 90elf den Stecker
Eine Einschätzung von Jan Bechler
Heute hat die DFL mal wieder bewiesen was sie nicht kann: Innovationen fördern! Im Sinne des Fans denken! Und sie hat bewiesen, was sie kann: Kommerz über das Fan-Interesse stellen.
Heute ist der Tag, an dem 90elf – Deutschlands Fußballradio seinen Todesstoß versetzt bekommen hat – von der DFL!
Samstag Nachmittag wird Fußball gehört.
Für Generationen von Fußballfans hat es Tradition: Samstag Nachmittag wird Fußball gehört. Richtig: gehört! Die ARD-Bundesliga-Konferenz hat viele Millionen begleitet und ist für viele zum echten Ritual geworden. Kein anderes Medium schafft es, Emotionen so zu transportieren wie das Radio!
Wenn Manni Breuckmann “Tooooor auf Schalke!” rief oder Alexander Bleick mit “Elfmeter im Volksparkstadion” das Programm unterbrach, war man höchstwahrscheinlich in der legendären Schlusskonferenz angekommen.
Fußballradio rund um die Uhr
Vor einigen Jahren haben sich Radiomacher und Fußballfans, deren Herz am schönsten Sport der Welt hängt, viele Gedanken gemacht, wie dieses Erlebnis noch besser gestaltet und in die digitale Welt überführt werden kann. Entstanden ist dabei 90elf – Deutschlands Fußballradio: ein Internetradioprogramm, das sich rund um die Uhr und 7 Tage pro Woche um das runde Leder dreht.
Und ein Programm, das etwas bietet, was es in dieser Form bis dato nicht gab: Hörer haben die Möglichkeit, alle Spiele der 1. und 2. Bundesliga live zu hören: vom Anpfiff bis in die Nachspielzeit und darüber hinaus. Als Konferenz oder nur das Spiel des Lieblingsvereins. 90Minuten purer Fußball.
Jedes Wochenende hat ein Millionenpublikum über 90elf mit dem Lieblingsverein mitgefiebert und mitgelitten. Unzählige Male hat die DFL und haben die ihr angeschlossenen Vereine diese Innovation bis in den Fußballhimmel gelobt. Zu Recht!
90elf hat Fußball-Internetradio aus der Taufe gehoben
Seit 2008 hat 90elf ein begeisterndes Programm aufgebaut und ist dabei unzählige wirtschaftliche Risiken eingegangen. Dass sich ein solches Format in einem Markt, den man selber erst schaffen muss, in den ersten Jahren nicht rechnet (gar nicht rechnen kann) erscheint mehr als klar. Mit viel Geld aber noch mehr Eifer und Herzblut ist das 90elf-Team alle diese Risiken eingegangen – in dem festen Glauben an das Produkt und die Liebe dazu.
Noch einmal: 90elf hat hier einen neuen Markt geschaffen, den es vorher nicht gab. Einen Markt, den die DFL bis dato selber nicht einmal kannte.Als 90elf die Rechte für die Liveberichterstattung erstmalig erworben hat, wusste die DFL nicht einmal, dass es diese gibt und dafür eine Nachfrage existiert.
Für die kommenden Jahre ab der Saison 2013/2014 hat die DFL nun die Internet-Radio-Übertragungsrechte erstmalig öffentlich ausgeschrieben und dabei mehrfach betont, dass die Vergabe nicht rein aus kommerziellen Gründen sondern auf Basis des besten Konzepts erfolgen soll. Das lässt aufhorchen, denn die Lehren der Vergangenheit zeigen, dass bei der DFL regelmäßig das Geld im Vordergrund und das Fan-Interesse im Hintergrund steht. Eine Aussage, die Mut machen durfte, dass im Sinne des Fans entschieden wird.
Internet-Radio-Rechte gehen ab 2013/2014 an Sport1
Heute dann die Ernüchterung: die DFL hat heute die Rechte an das DSF, sorry, Sport1 natürlich, vergeben.
Tatsächlich an das DSF:
- den Sender, bei dem außer dem Doppelpass, Bundesliga aktuell und dem Montagabend-Spiel der Bundesliga lange, sehr lange nach hochwertigem Fußball-Inhalt suchen muss.
- den Sender, der einen Großteil seiner Sendezeit mit dreckigen Anruf-Gewinnspielem im 9Live-Stil, nackten Titten oder Reise-Shopping-Shows bestreitet.
- den Sender, der mit Radio und Audio bisher keine, gar keine Erfahrung und Kompetenz vorweisen kann
Das soll also der Sender sein, der zukünftig eine coole Alternative zur ARD-Bundesligakonferenz anbieten soll?
Und der ein besseres Produkt anbieten können soll als 90elf, die über die letzten 5 Jahre immens viel Erfahrung gesammelt haben?
Gleichzeitig hat die DFL damit heute 90elf die rote Karte gezeigt. Aber nicht nur das: für 90elf bedeutet das eine lebenslange Sperre. Denn ohne die Rechte an der Bundesliga wird sich ein solches Programm nicht halten lassen.
Damit verlieren mehrere dutzend unfassbar engagierte, hochkompetente Mitarbeiter nicht nur ihren Job sondern auch ihr Baby, das sie über die letzten Jahre aufgebaut haben.
Geld schlägt Konzept
Besonders pikant: die DFL hat heute mehreren Parteien signalisiert, dass 90elf das mit Abstand beste, überzeugendste Konzept abgeliefert hat! Am Ende stimmte das finanzielle Gebot einfach nicht.
Jetzt kann man sagen: “So funktioniert Marktwirtschaft – der höchste Preis gewinnt!” Das ist ist aber falsch und zu kurz gedacht. Drei Gedanken dazu:
- 90elf kennt so gut wie kein anderer aus der Vergangenheit die Vermarktungs-/Refinanzierungspotenziale. Es darf also davon ausgegangen werden, dass hier ein sehr marktadäquates Angebot abgegeben wurde.
- Wenn man weiß, dass das aktuelle Rechte-Paket für die TV-Übertragung für 2,5 Milliarden Euro (!) über den Tisch gegangen ist, während die Internetradio-Rechte sich im niedrigen einstelligen Millionenbereich bewegen, können die Preisunterschiede der Gebote nicht signifikant auseinanderliegen in Relation zu den Gesamtumsätzen, die die DFL mit dem Rechteverkauf erzielt.
- Ein solches Verhalten tötet Innovationen. Künftig wird niemand mehr bereit sein, neue Geschäftsmodelle in diesem Bereich zu entwickeln und dabei echte Investitionen zu tätigen (also finanziell signifikant in Vorleistung zu gehen im Vertrauen auf die langfristige Profitabilität eines Geschäftsmodells), wenn er damit rechnen muss, auf eine solche Art und Weise kaltgestellt zu werden.
Die DFL hat damit nicht nur gegen 90elf entschieden sondern auch gegen die deutschen Fußball-Fans. Denen ist ein Produkt, das über die letzten Jahre immer mehr an Beliebtheit gewonnen hat, genommen worden.
Abzuwarten bleibt, was Sport1 nun aus den erworbenen Rechten macht. Die Tatsache, dass selbst die DFL das Konzept offenbar nicht für das beste sondern nur das am besten bezahlte hielt, lässt nicht viel Gutes vermuten.
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Gut und überzeugend gebrüllt. Ich stimme dem Grundtenor zu. Allerdings erinnert mich das Ganze auch in der Argumentation an die Zeit vor etwa 10 Jahren, als Premiere urplötzlich die TV-Rechte an Arena verlor.
Was passierte damals? Kaum ein Premiere-Mitarbeiter verlor wirklich seinen Job. Viele gingen zu Arena und machten dort weiter. Auch Sport1 wird sich Radio-Kommentatoren-Kompetenz zukaufen müssen und dabei dürfte der 90elf-Mitarbeiterstamm der erste Ansprechpartner sein. Da ich weiß, dass 90elf zudem sehr “schlank” aufgestellt war, dürfte auch die Anzahl der betroffenen Mitarbeiter “im Off” nicht allzu groß sein, sodass nun keine Schwemme an arbeitslosen Tontechnikern etc. zu befürchten ist.
Wenn man 90elf etwas vorwerfen kann, dann dass sie sich in den letzten Jahren zu sehr auf ihren Live-Rechten ausgeruht haben. Die Live-Rechte waren das Zugpferd, das Programm drumherum war mehr Lückenfüller als alles andere. Die große Ausnahme war allein der “Bolzplatz” (Di – Do von 20 bis 22 Uhr). Der Rest bestand aus automatisch vom Computer gefahrenen Dauerschleifen und Spielwiederholungen. Wirklich qualitativ besser als das Programm des Deutschen Stangentanz Fernsehens (DSF) ist das auch nicht. Ein Vollprogramm hat 90elf ebenfalls nie anbieten können.
Wie es nun weitergeht? Ich hoffe, dass Regiocast 90elf nicht sofort nach Saisonende einstampft. Denn auch in dieser Krise steckt eine Chance. Im konkreten Fall ist es die Chance zur Neuausrichtung und Restrukturierung. Mehr Talk, mehr Hintergrund, mehr Info, mehr Hörerbeteiligung, mehr Interaktion mit Bloggern und (vor allem!) Podcastern – daraus könnte man mit relativ geringen Mitteln ein Vollprogramm stricken, das auch ohne Live-Rechte Hörer erreicht. Bei Premiere dachte damals auch jeder, dass mit dem Aus der BuLi-Rechte das Aus für den Sender gekommen sei. Letztendlich kam es jedoch ganz anders.
Und dennoch: Schade finde ich die ganze Situation jetzt schon.
Daumen hoch für diesen sehr ausführlich geschriebenen Artikel auch von mir. Nur die Sache mit dem Millionenpublikum, das stimmt glaube ich nicht so ganz. Wenn ich mich recht entsinne, sprach 90elf selbst mal von bis zu 400.000 Zuhörern an den Spieltagen, was natürlich trotzdem überaus viel ist.
In einem Punkt würde ich sogar noch weitergehen. Denn mit dem Verlust der Übertragungsrechte entzieht man ja de facto nicht nur 90elf die Existenzgrundlage, sondern stellt damit auch gleich ein zum großen Teil öffentlich-rechtlich finanziertes Projekt, nämlich das Digitalradio, in Frage, dessen Zugpferd 90elf ja ist (bzw. war). Wer weiß, vielleicht hatten die ÖR ja bereits im Vorfeld dieses Bieterwettbewerbs mit den so frei werdenden Sendeplätzen / Kapazitäten was ganz anderes vor. Wenn sich das ganze dann irgendwann einmal als Bumerang bzw. Schuss in’s eigene Bein erweisen sollte, fände ich das nur allzu gerecht. Schade nur, dass der Gebührenzahler dann dafür gerade stehen müsste…
Ganz ehrlich? Ich weine 90elf keine Träne nach. Viele Spiele wurden vom TV abkommentiert und die Atmo aus dem Stadion von Sky übernommen und dann unterlegt. Damit verarscht man Hörer….
“90elf hat hier einen neuen Markt geschaffen, den es vorher nicht gab. Einen Markt, den die DFL bis dato selber nicht einmal kannte.Als 90elf die Rechte für die Liveberichterstattung erstmalig erworben hat, wusste die DFL nicht einmal, dass es diese gibt und dafür eine Nachfrage existiert.”
Das stimmt so nun nicht. Lange vor 90elf gab es auf Bundesliga.de Audioübertragungen der 1. und 2. Bundesliga! Als dann die Rechte an 90elf gingen gab es sogar einiges an Kritik, weil das Angebot sich zunächst verschlechterte.
Letztlich ist 90elf natürlich eine gute Geschichte geworden und es tut mir leid für die Macher, dass es vermutlich zu Ende geht.
Laut RA Stadler könnte 90elf einfach weitermachen:
“Ein Fußballspiel ist kein urheberrechtlich geschütztes Werk, weshalb seine Übertragung auch nicht durch eine urheberrechtliche Nutzungsrechtseinräumung geregelt werden kann…
Das könnte einen Anbieter wie 90elf nach meiner Einschätzung aber nicht daran hindern, dass sich seine Reporter vor den Fernseher setzen und die Spiele auf Grundlage einer Fernsehübertragung kommentieren.”
Hm. Ich muss aber sagen, ich bin mit 90elf nie richtig warm geworden.
Die Seite ist übersichtstechnisch ein totales Desaster und hat man nach fünf-Minütiger Suche endlich mal die Übertragung gefunden, die man suchte, dann kreischte einem erstmal zu laute Werbung ins Ohr. Auch David Nathan als Eigenwerbe-Stimme hats dann nicht mehr rausgerissen und vor dem Mann kniee ich betend.
Außerdem behaupte ich mal ganz dreist: In den meisten Fällen hat 90elf keineswegs dafür gedient, den Spielen nur zu lauschen, sondern als deutscher Kommentar für den arabischen oder chinesischen Stream gedient.
90elf kann juristisch gesehen einfach weitermachen…
hxxp://internet-law.de/2013/03/fusballradio-90elf-soll-bundesliga-nicht-mehr-ubertragen.html
So sehr ich den Fan verstehe, der hier eine Entscheidung kritisiert, als nicht-Fan möchte ich hier doch mal ein etwas nüchterneres Resümee ziehen:
Die DFL ist ein knallhart kalkulierendes Wirtschaftsunternehmen und keine Goodwill-Organisation für Fans. Wenn die DFL also vom “besten Konzept” redet, heißt das nicht: “Wie geben wir den Fans das, was Sie wollen und machen dabei nebenbei noch ein bisschen Profit?”, sondern: “Wie machen wir jetzt und in Zukunft am meisten Profit”?”.
Dass es dabei die bessere Wahl ist/sein kann, die Marke Sport1, hinter der ein finanzstarkes Großunternehmen steht, zu stärken, als einem kleinen Haufen Fans und ihrem Amateurradio einen Gefallen zu tun, dürfte klar sein, zumal Sport1 eben, wie im Text angedeutet, bereit ist, einen Preis über dem reinen Marktpreis zu bezahlen, um die eigene Marke zu stärken. Das bedeutet auch für die Zukunft verlässlich hohe Einnahmen.
90elf hat den Markt vielleicht erst geschaffen, aber vielleicht hätte man auch dort besser kalkulieren sollen.
Was für ein Konzept ist denn “Wir erschaffen einen Markt und wenn er dann ausgehoben ist und anfängt Profit abzuwerfen, darf die DFL die Rechte frei ausschreiben”? Hätte man nicht von Anfang an kalkulieren müssen: “Es wird 3-5 Jahre dauern, den Markt zu etablieren. Wenn die Rechte sich lohnen sollen, brauchen wir 10 Jahre Exklusivrecht, danach können wir auch in einer freien Ausschreibung gegen die “Großen” bestehen”. Ein solcher Vertrag war sicher möglich.
Wenn dadurch 90elf pleite geht, ist das sicher schade, gerade für die Beteiligten, es dürfte der DFL aber ebenso am Arsch vorbei gehen, wie Pay-TV-Übertragungen ohne großes Publikum. Die meisten werden vermutlich auch ihren Platz in der Branche finden, vielleicht gar bei Sport1 unterkommen – aber auch solche Einzelschicksale dürften der DFL scheissegal sein. Überhaupt: Fans sind Kunden, nichts weiter. Und die DFL bestimmt das Angebot – wer das nicht mag, kann ja Handball gucken.
PS: Möglicherweise würde es auch Sinn machen, das gewonnene Know-How auf ähnliche Formate anzuwenden, und sich um andere Sportrechte zu bewerben – dann wären bloß die “Fußballfutzies” draußen, während Sender und Techniker nahtlos weitermachen könnten.
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Hier noch einmal der Link zur juristischen Sicht als Ergänzung:
http://www.internet-law.de/2013/03/fusballradio-90elf-soll-bundesliga-nicht-mehr-ubertragen.html
Nach Einschätzung vom Rechtsanwaltskollegen Stadler dürfte 90elf zumindest vom Fernseher aus weiterhin live berichten (womöglich machen sie das auch jetzt schon)
Mit dieser Entscheidung lädt sich die DFL zwar mehr Geld in die Taschen – auf der Strecke bleibt aber wieder einmal der Fan.
Aber das ist ja mittlerweile ein alter Schuh.
Was auch rechtlich relevant wäre zur weiteren möglichen Liveberichterstattung von 90elf:
Auf der Internetseite marcel-ist-reif.de haben doch Menschen wie du und ich die Chance, die kommentatorischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. In dem Fall sitzen die selbsternannten Sportkommentatoren vor dem Fernseher und beschreiben visuell das, was Sie vor sich sehen. Und wenn DAS rechtens ist – und das wird es sein, sonst wäre die Seite schon längst eingestampt – dann wird 90elf auch weitermachen können. Ob und wieweit 90elf jetzt den Stadionsound einfließen lassen kann, sei mal dahin gestellt – da waird sich aber auch eine Lösung finden lassen!
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Und die Entscheidung der DFL wundert Euch jetzt wirklich?
Die Fans sind doch für die ein – leider notwendiges – Übel, ab und sogar nichts anderes als unbequme Querulanten.
Über 90elf kann man geteiliter Meinung sein; ich habe es geliebt. Wann immer ich nicht ins Stadion konnte war es eine fantastische Alternative. Die Mitarbeiter tun mir am meisten leid; wieder ein Dämpfer für die, die sich mit Elan, Kompetenz und merklichem Spaß an der Sache engagieren.
Sport1? Sollen wir uns diesen Bayern-Haussender jetzt auch noch im Radio anhören? Auch wenn man es kaum für möglich halten sollte: Es gibt auch noch Fans anderer Vereine in Deutschland.
Also mal ehrlich, 90elf war nun wirklich nicht das Gelbe vom Ei.
Ich habe es fast ausschließlich auf dem iPhone genutzt. Die App war instabil, auch wurden die aktuellen Spiele häufig erst nach Minuten angezeigt. Die Übertragung wurde häufig unterbrochen – erneut zu laute Werbung folgte natürlich. Für 4€ war das einfach nix. Und nee, es lag nicht an der Verbindung.
Mag sein, dass es Sport1 auch nicht besser machen wird – aber nachweinen werde auch ich 90elf nicht.
Nur eine Frage am Rande: Wo ist denn beim Doppelpass Qualität?
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