Pfiffe, auf die man pfeifen kann. Fans und ihr Selbstverständnis.

Flo 2. Dezember 2012

Hannover 96 gewinnt 2:0 gegen Greuther Fürth und bekommt den gerechten Lohn der Fans. Pfiffe. Richtig gelesen: Pfiffe. Im Fall von Jan Schlaudraff bedeutet die Reaktion des Anhangs sogar, dass eineinhalb Scorerpunkte mit individuellen Pfiffen bedacht werden. Wahnsinn? Ja, definitiv. Gerade, wenn man sich einmal vor Augen führt, was der Verein Hannover 96 in den letzten Jahren erreicht hat, und dass man scheinbar schon von “Krise” sprechen kann, wenn ein langjähriger Zweit- und Drittligaverein Sechster in der Bundesliga ist, die Gruppe in der Europa League anführt und im Achtelfinale des DFB-Pokals steht. Aber überzogene Erwartungshaltungen geschürt durch sportlichen Erfolg sind noch nicht einmal das eigentliche Problem. Sondern vielmehr das stetig grotesker werdende Selbstverständnis sogenannter Fans. Und damit sind wohlgemerkt die Operettenzuschauer auf der Haupttribüne genauso gemeint wie die Ultras, und auch alles was dazwischen liegt und munter vor sich hinpfeift. Das ewige Rätsel: Was genau berechtigt einen Sportzuschauer dazu, Sportler bei der Ausübung ihrer Tätigkeit auszupfeifen?

Paolo die Canio und Jan Schlaudraff

Ähnliche Armhaltung, aber sehr unterschiedliche Gründe des Auspfeifens

Mir fällt nicht viel ein, außer wenn wir in die Kategorie Luiz Adriano ausweichen. Also wenn es um grobe Verletzung grundsätzlicher Fairness geht. Sogar wünschenswert wäre ein Auspfeifen aller Ewiggestrigen wie dem römergrüßenden Neofaschisten Paolo di Canio. Und auch die Schande von Gijon ist ein Beispiel dafür, dass sämtliche Anwesenden lautstark protestieren sollten. Aber aufgrund einer sportlichen Leistung, die innerhalb sämtlicher Anstandsregeln abläuft und nur aufgrund mangelnden Erfolgs oder aufgrund einer (auf welcher Basis auch immer) festgestellten mangelnden Qualität den zahlenden Zuschauer, treuen Fan, oder aufrichtigen Kritiker nicht zu überzeugen weiß? Ich werde es nie verstehen. Und kann nur hoffen, dass es mehr Horst Heldts gibt, die das auch mal offen zurückkritisieren.

Einmal noch zurück zu den Ultras, Stehplatzfans, oder wie auch immer die Menschen generalisiert werden, an denen sich so gerne die Rundumschläge abarbeiten. Die aber auch gerne mit Rundumschlägen aufwarten. Und genau da liegt ein Problem. Denn Fußball mag viele gesellschaftliche Schranken einreissen und unterschiedlichste Menschen im Stadionrund zusammenbringen. Er macht sie aber nicht gleich, und das gilt auch für ihre Meinung. Nehmen wir zum Beispiel das gestrige Spiel FSV Mainz 05 gegen Hannover 96. Wieder einmal wurde versucht, 12:12 Minuten lang den Support einzustellen, um gegen das Strategiepapier der DFL zu protestieren. Und wieder einmal geschah dass, was auch bei jeder Schweigeminute passiert. Nicht jeder hielt sich daran. Doch was bei einer Schweigeminute pietätlos ist, ist bei einer Aktion wie 12:12 nichts weiter als Ausdruck der eigenen Meinung. Viele Fans mögen etwas gegen die DFL-Pläne haben, und sie haben vielleicht auch einen guten Grund dafür haben. Vielleicht haben sie sogar recht, was bei der bisherigen Diskussion zum Thema Fanausschreitungen noch nicht einmal wundern würde (finale Meinung folgt nach Lektüre des Pamphlets). Doch das gibt noch lange niemandem das Recht, das normale Verhalten von anderen Fans, nämlich das Anfeuern der eigenen Mannschaft, gnadenlos niederzupfeifen. Es ist schon ein spezielles Selbstverständnis, wenn man sich der Sache, die man selber macht, so sicher ist, dass abweichendes Verhalten von anderen nicht geduldet werden kann. Um einmal die Gegenprobe zu machen: Wurde irgendeiner, der dutzendhafte Minuten schweigt, in den letzten Wochen ausgepfiffen? Richtig, keiner. Also: Positiv bleiben und immer daran denken, dass “Support” nicht das englische Wort für gellendes Pfeifkonzert ist. Und ganz ehrlich, Applaudieren macht auch viel bessere Laune.