New York Cosmos, oder warum Atari dem Fußball in den USA den Garaus machte

Flo 15. April 2012

“We were like Studio 54. For a moment everybody wanted us, and then they were on to something else.” (Shep Messing)

Amerikas Kultur ist reich an Immigrationsgeschichten. Und doch präsentiert der von Paul Crowder und John Dower gedrehte Once in a Lifetime: The Extraordinary Story of the New York Cosmos (2006) eine ganz spezielle Variation dieses Genres, da der Dokumentarfilm eine der historisch extremsten Projekte im Profifußball in Form einer (post-)modernen amerikanischen Immigrationsgeschichte erzählt: Den Aufstieg und Fall von New York Cosmos in den 70er und 80er Jahren und die einmalige Rekrutierung von internationalen Weltstars für ein amerikanisches Produkt. Um eines gleich vorweg zu nehmen: Die zeitliche und räumliche Verschiebung des Films erweist sich als Prisma, durch das man Fußball noch besser versteht. Es mag eine Übertreibung sein, die Schwierigkeiten der US-Amerikaner, sich mit Fußball anzufreunden darauf zurückzuführen, dass dieser mit vergleichsweise wenigen Unterbrechungen auskommende Sport die Aufmerksamkeitsspanne des amerikanischen Publikums überforderte. Gleichzeitig beschreibt es den Charakter des Spieles im Vergleich zu anderen populären Mannschaftssportarten ebenso treffend wie prägnant.

Der Film startet mit einem kurzen Abriss der Amateur-Vorgeschichte des amerikanischen Fußballs, die 1950 ihren Höhepunkt durch ein 1-0 über England bei der WM in Brasilien hatte (Torschütze war übrigens der Haitianer Joseph Edouard Gaetjens, der noch nicht einmal amerikanischer Staatsbürger war), bevor der Sport zurück in seinen Dornröschenschlaf fiel. Aus eben diesem erweckte ihn vor allen Dingen, so der Film, der Präsident von Warner Communications, Steve Ross. Im Rahmen eines Mergers mit dem Atlantic Label, dessen Gründer und Präsidenten die türkisch-stämmigen und fußballbegeisterten Ertegun-Brüder waren, willigte er ein, den Fußball in den USA bekannt zu machen – zusammen mit zahlreichen Investoren, die bis dahin noch nie ein Fußballspiel gesehen hatten. Symptomatisch hierfür dürfte folgender leicht zotiger Kommentar eines Managers stehen: “I never knew what a header was, I thought giving head was something else” (Jay Emmett).

Schnell ist das Team gegründet, die 1971 als Amateurschaft gegründeten New York Cosmos, und was nun folgt ist eine interessante, weil gänzlich künstliche story of success, die den amerikanischen Ligafußball von 340 Zuschauern hin zu 77.000 im Jahr 1977 bringt, als das damals brandneue (und mittlerweile abgerissene) Giants Stadium ausverkauft wurde. Quasi über Nacht wurde Fußball zum Sport, in dem mehr bezahlt wurde, als in irgendeinem anderen Sport in den USA, und spätestens mit dem spektakulären Transfer von Pelé wurde der Grundstein für das letztlich kurzlebige Projekt NASL gelegt. Für Pelés Managerin handelte es sich hierbei um nicht mehr und nicht weniger als die konsequente Ausformung der “American mentality: if we can’t create it, we consume it” (eventuelle Parallelen zur jüngsten Hypotheken- und Schuldenkrise dürften rein zufälliger Natur sein). Pelé selber ließ sich leider nicht für den Film gewinnen, dafür aber die anderen Weltstars, die ihre Karriere früher (der kürzlich verstorbene Stürmer Giorgio Chinaglia, den der Film als Tony Soprano-artigen Mobster zeichnet) oder später (Carlos Alberto und Franz Beckenbauer in unvergleichlichem Englisch) beim Glamour-Club ausklingen ließen und ebenso persönlich wie interessant resümieren.

“We play soccer.” – “Such what?” – Mit vollem Körpereinsatz versuchten die Spieler von New York Cosmos damals, den Big Apple von dem in den US fast vollkommen unbekannten Sport zu überzeugen

Der Film wird konsequent aus dem Off kommentiert, aber vor allen Dingen von den sportlichen wie kommerziellen Zeitzeugen in einer so wunderbar widersprüchlichen Weise berichtet, dass selbst die Erzählweise von Kurosawas Rashomon stringent wirkt. Die teilweise fehlende kritische Distanz zu den Mogulen wird dabei durch die zahlreichen Anekdoten und die immer stärker zu Tage tretenden Animositäten der Manager, Handlanger, und Spieler aufgewogen – und auch das Fehlen von Pelés Erinnerungen fällt nicht schwer ins Gewicht angesichts der teilweise haarsträubenden Geschichten, die Chinaglia, Beckenbauer, Carlos Alberto sowie die zahlreichen weniger bekannten (amerikanischen) Cosmos-Spieler beisteuern.

Auch Kaiser Franz trauert seiner Zeit bei New York Cosmos hinterher

Sowohl visuell, mit seinem körnigen Bild und den zahlreichen split screens, als auch von der musikalischen Untermalung her ist der Film sehr gelungen an die filmische Ästhetik der 70er Jahre angelegt. Das New York der 1970er, zwischen Blackout und Studio 54, zwischen Glamour und Muggings, wird dabei schön beleuchtet und in Verbindung zum Phänomen Cosmos gesetzt.

Und auch der Niedergang des Vereins und der Liga, dessen Ursachen irgendwo zwischen dem Größenwahn des Projekts, fehlendem Fernsehinteresse, einer gescheiterten WM-Bewerbung und dem Atari-Crash von 1983 zu finden sind, wird in all seinen sportfernen Facetten treffend dargestellt.

Wer immer schon einmal wissen wollte, was Nackfotos von Torhütern, Henry Kissinger und Fernsehübertragungen mit Fußball zu tun haben, der sollte sich diesen Film nicht entgehen lassen. Und auch alle anderen, die an 90 Minuten interessanter Darstellung von Fußball als globaler Sportart interessiert sind.

Ach ja: Beckenbauers Englisch kann man zwar auch in der deutschen Version genießen, dennoch bleibt die Wahl zwischen Jörg Wontorra und Matt Dillon als Kommentatoren. Da werden selbst Untertitel im Zweifelsfall attraktiv.

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