Bälle sind keine Hedge-Fonds. Von Selbstverständlichkeiten im Fußball.

Flo 11. Mai 2011

“Acht Tore für Deutschland,” so heisst es in der SZ vom 09.05. anlässlich des 8-1 Kantersieges der Bayern am Millerntor, was gleichbedeutend mit dem endgültigen Verdrängen des Underdogs Hannover 96 vom CL-Qualiplatz war. Und der dreifache Torschütze(nkönig) Mario Gomez wird folgerichtig auch “bei allem Respekt für Hannover” wie folgt zitiert: “Das ist gut für den deutschen Fußball, die größten Chancen hat international nach wie vor Bayern München”. Dass ein Stürmer der Mannschaft, die nächstes Jahr so viel Gutes für Fußballdeutschland tun wird, nachdem man sie nun endlich lässt, dies sagt, ist naheliegend. Doch natürlich hat Herr Gomez keine Exklusivrechte auf diesen Gedanken. Im Gegenteil. Die meisten Kommentatoren und Fans stimmen in diesem Punkt seit Jahren gebetsmühlenartig in das Lied von der UEFA-Fünfjahreswertung mit ein, wenn es darum geht, wer in den Europacup soll. Sogar in der niedersächsischen Landeskapitale war man nicht vor Unkenrufen bezüglich des für Deutschland schädlichen “Freilos” Hannover gefeit – auch von 96-Fans.
Und die Argumente liegen in der Tat (scheinbar) auf der Hand: Ist es nötig für die Fünfjahreswertung, dass deutsche Mannschaften weit kommen? Absolut. Ist es wahrscheinlicher, dass die Bayern weiter kommen als Hannover (oder Leverkusen, je nachdem, was am Samstag passiert) Sicher. Doppelpunkt Bayern.
Doch, um es auf den Punkt zu fischern: I’m not convinced. Wie kurzsichtig und zynisch ist eine Sicht auf Fußball, die den genannten Umstand als zweifelsohne richtig ansieht und die Angelegenheit damit für geklärt ansieht?

Das Prinzip Melkschemel

Geht man von der oben genannten Situation aus, muss man schon von einer annähernd gottgegebenen Position der Bayern ausgehen, um das zu rechtfertigen. Doch auch die mussten dort erst hinkommen, nachdem sie 1965 als absoluter Provinzverein erstklassig wurden. Betrachtet man sich die Sachen etwas genauer, so ist der konkrete Fall FC Bayern München ein offensichtlich sehr familiär geführter Verein, der in der Tat schon viel für den deutschen Fußball getan hat, wenn es um das Sammeln von internationalen Titeln geht. Und der sich auch sonst, wie ausgerechnet das Beispiel Pauli eindrucksvoll bewiesen hat, durchaus verdient gemacht hat. Doch er ist eben auch ein Verein, der einen Großteil seiner Stärke daraus bezieht, andere Vereine gezielt zu schwächen. Ohne jetzt in das Verschwörungs- und Verdammungshorn zu stoßen, muss man doch ganz nüchtern festhalten, dass der FCB bei aller offensichtlich gelungener Nachwuchsarbeit der letzten Jahre (Lahm, Schweinsteiger und Müller als eklatante Beispiele) fast schon traditionell einen Großteil der Mannschaft aus Spielern rekrutiert, die an anderer Stelle ausgebildet wurden und/oder zu Spitzenspielern herangereift sind. Das macht jeder Spitzenverein so, aber im deutschen Fußballbiotop ist die Nahrungskette eben in München am Ende. Und es läuft in der Regel immer nach dem bewährten Strickmuster Ausbilden, Vergolden, Melken. Beispiel: Miroslav Klose. In Lautern ausgebildet, in Bremen vergoldet, in Bayern gemolken. Sowohl Lautern als auch Bremen wurden sicherlich angemessen finanziell entschädigt für den Aderlass, aber sportlich haben die Mannschaften wenig von der Ausbildung für den FCB profitiert. Eine Nachfrage in Karlsruhe mag hier noch mehr Klarheit bringen. Und wenn man auf der anderen Seite ehemalige Talente wie Schlaudraff, Baumjohann, und sogar Podolski nimmt, und weiß, dass jeweils auch viele andere Spitzenmannschaften der Bundesliga interessiert waren und gerne den Zuschlag (dann zum Vergolden) bekommen hätten, teilweise auch bevor die Bayern überhaupt die Wahlscheibe ihres roten Telefons betätigten, lässt sich der Eindruck nicht ganz erwehren, dass es hier auch darum geht, die Sandburg des anderen nicht zu schön werden zu lassen, obwohl die eigene schon alle Zinnen hat. Der Club geht beileibe nicht so zynisch wie ein Real Madrid vor, aber ein Blick auf die Karriere eines gewissen Nils Petersen in zwei Jahren dürfte aufschlussreich sein.
So stellt sich doch ein wenig die Frage, wie sympathisch einem das Ganze sein soll, und ob man jetzt zum jeweiligen Branchenprimus nur halten soll, weil er der größte Fisch im Karpfenteich ist. Wenn dem so ist, dann bitte mittwochs auch immer schön die Daumen für Mercedes, Microsoft und Nestlé drücken.

Für mehr Dichte in der Breite an der Spitze

Wenn nicht, dann sollte man mal kurz über den Tellerrand der Fünfjahreswertung hinausschauen und hoffen, schlicht hoffen, dass es immer mal wieder ungerade Jahre gibt, in denen andere Mannschaften als der ewig erfolgreiche FCB den deutschen Fußball bestimmen. Wenn schon nicht finanziell, dann wenigstens diskursiv. Auch wenn es dann in Europa vermeintlich nicht so weit gehen wird. Und im aktuellen Falle dürfte die Art und Weise, wie Borussia Dortmund, Bayer Leverkusen, Hannover 96 und Mainz 05 strategisch-taktisch gearbeitet haben und nach Europa gekommen sind auf lange Sicht gesehen sehr viel mehr für den deutschen Fußball getan haben, als die spieltaktischen Vorschläge des FCB, dessen größte taktische Errungenschaften der letzten beiden Jahrzehnte letztlich nur dem FCB zugute kamen. Denn ob man jetzt 100 Millionen für eine Mannschaft zum fröhlichen Rotieren ausgibt oder 100 Millionen für einen Robbery zum fröhlichen Flügelzangenspiel, die Anwendbarkeit für andere Vereine ist stark begrenzt und füttert lediglich den bajuwarischen Feedback-Loop. Und wie die europäische Titeldurststrecke der Bayern seit 2001 zeigt, können auch sie keine Wunder bewirken und ein, zwei, drei sich langfristig in der Bundesligaspitze etablierende Konkurrenten, die in ein bis zwei Jahrzehnten mit dem FC Bayern auf Augenhöhe sind, wären wohl die wirklich gute Nachricht für Deutschland.
Keine Frage, Profifußball ist ein reiner Wettbewerb, und als solcher unterliegt er größtenteils wenig altruistischen Gesetzen. Und Bayern München ist unter den Großkopferten Europas sicherlich noch am humansten. Doch solange man sich als Fan des Spiels sieht und nicht nur als renditefixierter Profiteur der kurzfristigen Erträge, der sollte zumindest einmal kurz innehalten und überlegen, ob die unsäglichen Prinzipien “too big to fail” und “systemrelevant” auch und immer für das eigene Verständnis vom runden Leder gelten sollten. Oder ob es auch andere Faktoren gibt, die die Sicht auf die Dinge leider etwas komplexer werden lassen. Und sogar den Schluss zulassen würden, dass “Fallobst” wie 96 oder Mainz gut sein könnten für Deutschland. Zumindest theoretisch.
Ach ja, für die Freude der monokausalen Leistungslogik: ‘Objektiv’ am meisten getan für Fußballdeutschland hat dieses Jahr der FC Schalke 04. Für was auch immer das gut ist. Nastrovje.